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Lauf, Jane, Lauf!

Titel: Lauf, Jane, Lauf! Kostenlos Bücher Online Lesen
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auf die Liste kam.« Sie stellte das Geschirr in die Schränke. »Anfangs wartete ich immer auf den Haken bei der Sache. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß jemand so nett ist und aus reiner Uneigennützigkeit hilft. Bin ja mal gespannt, was er dafür haben will, dachte ich. Aber der Haken zeigte sich nicht. Er wollte mir wirklich nur helfen. Er sagte, er sei ein überzeugter Anhänger dieser orientalischen Philosophie, die besagt, daß man für einen Menschen, dem man das Leben gerettet hat, auch in aller Zukunft verantwortlich ist.« Sie holte einmal tief Atem. »Er ist ein wunderbarer Mensch. Ich würde alles für ihn tun.«
    »Wissen Sie, was er sich am Kopf getan hat?« hörte Jane sich fragen.
    »Sie meinen die Narbe?«
    Jane nickte.
    »Eines von den Kindern hat was nach ihm geworfen«, erklärte Paula kopfschüttelnd. »Er hat einen Haufen Spielsachen in seinem Sprechzimmer. Puppen und Autos und so, damit die Kinder die Nervosität verlieren. Aber in dem Fall hat’s anscheinend
nicht gewirkt. Eins von den Kindern hat ein Spielzeugflugzeug nach ihm geworfen. So eins mit einer ganz spitzen Schnauze. Er sagte, er hätte es kommen sehen, aber er konnte nicht mehr schnell genug ausweichen. Es waren fast vierzig Stiche nötig, um die Wunde zu nähen.«
    »Das klingt ja abscheulich.«
    »Ja, aber Sie wissen ja, wie er ist. Von Jammern hält er nichts.«
    Jane lächelte. Sie hoffte, Paula würde ihr noch mehr von dem Mann erzählen, mit dem sie verheiratet war. Es freute sie, Gutes über ihren Mann zu hören, nicht nur, weil es angenehm war festzustellen, daß sie mit einem sympathischen Mann verheiratet war, sondern auch, weil es umgekehrt bedeutete, daß sie selbst so übel nicht sein konnte, wenn ein solcher Mann sie liebte. Warum dann aber die Flucht und die Amnesie?
    »Möchten Sie jetzt wieder rauf ins Bett?« fragte Paula.
    Jane schüttelte den Kopf. »Ich möchte mich gern in den Wintergarten setzen.«
    Paula stützte sie, als sie ins Nebenzimmer hinübergingen. Obwohl Jane sich kräftig genug fühlte, um den Weg allein zu machen, ließ sie es sich gefallen. Sie wußte, daß Protest zwecklos gewesen wäre.
    Das Zimmer war so schön, wie sie es in Erinnerung hatte. Die Sonne schien ihr entgegenzukommen, um sie einzuhüllen und zu wärmen. Paula führte sie zur Hollywoodschaukel und half ihr so behutsam in die Polster, als wäre sie aus Porzellan.
    »Ich hole Ihnen eine Decke«, sagte sie und war verschwunden, ehe Jane sie davon abhalten konnte.
    Sie hatte eine Pflegerin, ob sie es wollte oder nicht. Sie würde umsorgt und bemuttert werden, ob es ihr gefiel oder nicht. Michael und Paula waren entschlossen, dafür zu sorgen, daß es ihr besser ging; sie gewöhnte sich besser daran. Je eher, desto besser. Besser heute als morgen.

    So was Albernes, dachte sie und kicherte. Ich bin richtig blöd. Ich benehme mich wie eines von den Kindern, die zu Michael in die Praxis kommen; wie der Kleine, der ihm das Flugzeug an den Kopf geschmissen hat. Nur weil die Frau in Michael verliebt ist, muß sie mir doch nicht unsympathisch sein. Ich bin ein großes undankbares Kind, das nicht weiß, wie gut es ihm geht, das sich nicht erinnern kann, wie man sich verhält, wenn andere nett zu einem sind, das nicht zu schätzen weiß, wenn andere ihm helfen wollen. Ich weiß nicht, was gut für mich ist. Ich weiß nicht, was von mir erwartet wird. Ich weiß nicht mal, was mit mir los ist. Ich weiß überhaupt nichts. Gottverdammich! Ich weiß gar nichts.
    Sie brach in unkontrollierbares Gelächter aus, das sich in einer Tränenflut auflöste. Paula war sofort bei ihr und legte ihr eine weiche gelbe Decke um.
    »Nehmen Sie Ihre Tabletten.« Sie hielt ihr zwei kleine weiße Tabletten hin und reichte ihr mit der anderen Hand ein Glas Wasser.
    »Ich brauche keine Tabletten«, sagte Jane und wischte sich das Gesicht mit dem Handrücken wie ein Kind.
    »Ihr Mann hat aber gesagt, daß Sie sie nehmen müssen.«
    »Ich brauche sie nicht.«
    »Aber Sie wollen doch Ihrem Mann keinen Kummer machen«, sagte Paula, das Undenkbare aussprechend.
    Jane begriff, daß jede Widerrede sinnlos war. Sie wußte so gut wie Paula, daß sie früher oder später die Tabletten schlucken würde. Wozu also dieser jungen Frau, die es sowieso nicht leicht hatte, auch noch Schwierigkeiten machen?
    Sie nahm die zwei Tabletten aus Paulas Hand, legte sie auf die Zungenspitze und spülte sie mit dem Wasser hinunter.

10
    Im Traum sah Jane sich durch eine dunkle Straße

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