Lauf, so schnell du kannst
Minuten lang, dann sah sie zu ihrem eigenen Gewehr hinüber. Normalerweise hätte sie es bei der ersten sich bietenden Gelegenheit gereinigt, aber als sie die Hütte erreicht hatten, waren sie und Dare beide am Ende ihrer Kräfte gewesen – also war dies realistisch gesehen die erste Gelegenheit, die sie hatte.
»Könnte ich mir dieses Reinigungsset ausleihen, wenn du damit fertig bist?«, fragte sie.
Er warf einen Blick auf ihr Gewehr, dann widmete er sich wieder seiner Aufgabe. »Ich säubere es für dich.«
Angie war ein wenig verwirrt; sie wusste nicht, wie sie sein Angebot bewerten sollte. Natürlich wusste sie, wie man sich um seine Waffen kümmern musste, daher war es gewiss nicht so, dass er an ihren Fähigkeiten zweifelte. Nur um ganz sicherzugehen, sagte sie vorsichtig: »Ich weiß, wie das geht.«
Er hob den Kopf und bedachte sie mit einem langen, undeutbaren Blick. »Das ist mir klar«, sagte er schließlich. »Aber es ist dermaßen verschlammt, dass ich es nach unten in die Ställe bringen werde, um den Dreck abzuschlagen, damit dieser Bereich hier sauber bleibt.«
»Oh. Gut mitgedacht.« Aber sie hatte immer noch das Gefühl, dass hinter seinem Angebot mehr steckte, etwas, das sie nicht sah. Sie unterdrückte einen frustrierten Seufzer. Höchstwahrscheinlich machte sie sich einfach zu viele Gedanken, wie immer. Er nahm ihr eine Aufgabe ab, weil sie nicht besonders beweglich war, das war alles.
Es schien nichts zu geben, was sie tun konnte, daher zog sie sich den Schlafsack über den Schoß und sah Dare zu, wie er sein Gewehr effizient auseinandernahm, säuberte, ölte und wieder zusammensetzte. Jede Bewegung erinnerte sie an die Jahre, die er beim Militär verbracht hatte. Wie viel wusste sie wirklich von ihm? Da sie in einer so kleinen Gemeinde aufgewachsen waren, hatte sie ihn natürlich vom Sehen gekannt, aber er war fünf oder sechs Jahre älter als sie, also hatten sie nie gesellschaftlichen Kontakt gehabt. Als sie in der Grundschule gewesen war, war er auf die Mittelschule gegangen. Als sie in der Mittelschule war, hatte er die Highschool besucht, und als sie die Highschool erreicht hatte, war er schon beim Militär.
Sie glaubte nicht, dass sie überhaupt jemals miteinander gesprochen hatten, bis er in die Gegend zurückgekehrt war. Sie waren beide in dem Eisenwarenladen gewesen, irgendjemand hatte sie miteinander bekannt gemacht, und als sie nach Hause gegangen war, hatte ihre Hand von seinem Händedruck gekribbelt, von dem Gefühl seiner rauen, starken Hand, die sich um ihre geschlossen hatte. Als sie dann das zweite Mal miteinander gesprochen hatten, hatte er sie zum Ausgehen eingeladen, aber sie hatte alle Hände voll zu tun gehabt, um sich auf eine Tour vorzubereiten, und hatte keine Zeit gehabt. Daher hatte sie mit großem Bedauern abgelehnt. Monate waren vergangen, bevor er sie wieder gefragt hatte, und bis dahin war sie so sauer gewesen, dass sie nicht einmal die Straße mit ihm gemeinsam überquert hätte.
Aber die Leute in der Gemeinde schienen ihn durchaus zu mögen; sie hatte nie gehört, dass jemand ihn einen Mistkerl genannt hat, nur sie selbst. Sie wusste, dass er mürrisch war, obwohl sie keine Ahnung hatte, ob er von Natur aus schon so war oder ob er durch seine Erfahrungen im Krieg erst so geworden war; außerdem wusste sie, dass ein Mann, der sie meilenweit unter fürchterlichen Bedingungen auf dem Rücken getragen hatte, wegen seiner Launen Nachsicht verdiente. Was noch? Er fluchte viel – und er hatte sich ohne einen Anflug von Sarkasmus um sie gekümmert, ohne ein einziges abfälliges Wort. Er verursachte bei ihr immer noch Schmetterlinge im Bauch. Und er hatte gelogen, als er gesagt hatte, er habe einen kleinen Schwanz.
Ach, was solls. Manche Leute heirateten sich, obwohl sie weniger voneinander wussten als das.
Sie schob diesen Gedanken hastig beiseite. Es war nicht der Zustand des Verheiratet-Seins
,
der sie verrückt machte, es war der Heiratsakt selbst. Sie hatte es versucht und die Sache völlig verbockt. Falls sie noch einen zweiten Versuch hätte … aber für manche Dinge gab es keinen zweiten Versuch.
Als er mit seinem Gewehr fertig war, brachte er ihres nach unten zu den Pferdeboxen, und sie lauschte seinem Rumoren. An dem blauweißen Schein erkannte sie, dass er eine der Taschenlampen eingeschaltet hatte. Sie blickte zu einem der Fenster hinaus und sah, dass es Nacht geworden war und immer noch in Strömen regnete. Regen hatte sie früher immer
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