Lauf, so schnell du kannst
»Sag mir bitte, dass du der Spur nicht bis zur Beute eines Bären gefolgt bist.«
»Ich war der Beute bereits näher, als ich es sein wollte«, erwiderte sie grimmig. »Sobald mir das klar gewesen ist, bin ich nicht noch näher herangegangen, sondern um die Beute herum, damit ich einen besseren Blick hatte, zur Bestätigung, dass es ein Mensch war.«
Er richtete einen ungläubigen Blick auf sie, dann stieß er einen Seufzer aus und schüttelte den Kopf. »Ich schätze, ich hätte das Gleiche getan.«
»Ich hatte mein Gewehr und dazu noch Bärenspray. Glaub mir, ich habe bei jedem Schritt gelauscht und mich in alle Richtungen umgesehen. Es war ein Mann. Ich nehme an, dass es ein Mann war«, fügte sie in leisem Tonfall hinzu. »Er war halb aufgefressen, und der Bär hatte ihn mit etwas Erde bedeckt.«
»Es muss derselbe Bär gewesen sein, der in dein Camp gekommen ist. Scheiße!«
»Ja, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass im selben Gebiet zwei Menschenfresser rumlaufen?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich würde nicht darauf wetten. Muss derselbe Bär gewesen sein.«
»Ich bin ins Camp zurückgekehrt und habe Krugman und Davis gesagt, dass wir entweder alle am nächsten Morgen zu Lattimore zurückkehren könnten – also heute –, damit ich das Fish and Wildlife Department verständigen kann, oder sie könnten dableiben, und ich würde gehen. Davis benahm sich erwartungsgemäß wie ein Ekel, ich habe angeboten, ihnen das Geld zurückzuerstatten, und das war es dann. Ich bin in mein Zelt gegangen, sobald ich konnte, nur um von Davis wegzukommen. Krugman war freundlicher, außerdem tat er mir leid, weil Davis ihm gegenüber so gehässig war, woran du erkennst, was für eine entsetzlich schlechte Menschenkennerin ich bin. Gegen Mitternacht bin ich dann wach geworden und hörte ihre Stimmen, sie haben sich gestritten. Ich zog meine Stiefel und meinen Mantel an, nahm mein Gewehr und eine Taschenlampe und machte mich auf, um den Streit zu schlichten.«
Sie hielt inne, ging im Geiste die Ereignisse der Nacht noch einmal durch und sammelte ihre Gedanken. »Sie waren hinten an der Kochstelle; normalerweise hätte ich sie gar nicht gehört, aber wenn ich eine Tour führe, schlafe ich nicht fest, weil ich immer mit halbem Ohr auf Ärger lausche.«
»Hast du viel Ärger gehabt?«, fragte er stirnrunzelnd. Sie konnte spüren, wie er ihr Gesicht mit erhöhter Aufmerksamkeit studierte, und sie drehte den Kopf weit genug, dass sie seinem überraschend grimmigen Blick begegnen konnte.
»Nein, natürlich nicht. Aber ich bin schon wachsam. Ich bin eine Frau. Ich muss an Dinge denken, an die ein Mann nicht zu denken braucht«, bemerkte sie. »Ich wäre dumm, wenn ich es nicht täte. Aber es ist nicht nur das. Ich … ich habe irgendwie Angst vor Bären«, gestand sie kleinlaut.
»Ich bin selbst auch misstrauisch, was Bären betrifft.«
»Es ist aber mehr als Misstrauen.« Warum jetzt nicht einfach alles sagen? »Ich hatte Albträume von Bären, und diesen Leichnam zu finden hat mich zu Tode erschreckt. Mehr als Dösen hätte ich auf keinen Fall getan. Wie dem auch sei, als ich näher kam, hörte ich jedenfalls, wie Davis zu Krugman sagte, dass er ihn bestohlen habe. Ich brüllte ihnen zu, dass sie aufhören sollten. Davis blickte in meine Richtung, und Krugman hat ihn erschossen.«
Ihre Stimme wurde tonlos, ihr Blick abwesend. »Er musste es geplant haben. Davis hatte ihn nicht bedroht, zumindest nicht, soweit ich es gesehen habe. Dann schoss er auf mich. Ich habe mich zu Boden geworfen und mich von ihm weggerollt, aber beim Aufprallen habe ich dann das Gewehr verloren. Ich bin einfach immer weitergerollt. Die Pferde drehten durch, das Gewitter war direkt über uns. Krugman ist an mir vorbeigegangen, also habe ich den Kopf gesenkt und mich nicht gerührt; ich war bereits so voller Schlamm, dass ich dachte, das sei mein bester Schutz. Dann … dann kam der Bär.«
Dare wartete schweigend ab, während sie einige Male tief durchatmete. »Krugman sah den Bären und verschwand. Er nahm alle vier Pferde mit und ist geflohen.«
»Er hat wahrscheinlich gehofft, dass der Bär dich auch bekäme.«
Angie wagte nicht daran zu denken. Sie hatte schon lange genug mit diesem Szenario gelebt und bekam immer noch ein mulmiges Gefühl dabei. »Er hat sich nicht die Mühe gemacht, sein Pferd zu satteln, also weiß ich nicht, wie weit er gekommen ist, denn er ist kein besonders guter Reiter. Als ich dich sah, dachte ich erst, du
Weitere Kostenlose Bücher