Lauf, so schnell du kannst
Zweifel daran, dass Dare dieses Tempo bewältigen konnte, ohne in Schweiß auszubrechen, wenn das Gelände nicht so schwierig gewesen wäre. Sie schätzte, dass sie in der Viertelstunde nicht mehr als eine Viertelmeile schafften, wahrscheinlich sogar noch weniger, daher machten sie weniger als eine Meile pro Stunde, die Pausen zum Ausruhen oder Essen nicht mitgerechnet. Was für Dare allein ein Marsch von vier oder fünf Stunden gewesen wäre, würde ihn ihretwegen acht bis zehn Stunden kosten, und dabei rechnete sie Rastpausen nicht einmal mit ein. An manchen Abschnitten würde sie ihr Tempo erhöhen können, aber unterm Strich würde ihnen das nicht viel nützen, vor allem wenn sie Umwege machen mussten, bei denen sie viel Zeit und etliche Meilen einbüßen würden.
Sie machten sich wieder auf den Weg. Entschlossen, ihn nicht mehr als nötig aufzuhalten, tat Angie das Gleiche, was sie getan hatte, als sie sich den Knöchel verletzt hatte und den Berg hinuntergekrochen war: Sie blendete Zeit und Entfernung aus und konzentrierte sich nur darauf, in Bewegung zu bleiben. Sie konzentrierte sich auf den Rhythmus Schritt, Stock, Schritt; irgendwo hatte sie gelesen, dass man eine Krücke oder einen Stock auf der starken Seite halten soll, aber das kam ihr unsinnig vor, daher hielt sie den Gehstock in der rechten Hand und entlastete ihren Knöchel mit der Kraft ihrer Arme. Ob dieses System genauso stabil war, wenn sie den Stock links hielt, konnte sie nicht sagen, aber sie wollte verhindern, dass ihr Knöchel mehr anschwoll als nötig.
Schritt, Stock, Schritt. Sie erlaubte es sich nicht, zu schwächeln oder schlappzumachen. Schritt, Stock, Schritt. So blieb sie in Bewegung.
Wenn Dare gekonnt hätte, hätte er sie getragen. Wusste sie, wie sie aussah, mit diesem konzentrierten und entschlossenen Blick in den dunklen Augen, während ihr Ausdruck gleichzeitig so entrückt war, dass er bezweifelte, dass sie ihn hören würde, wenn er sprach? Sie würde nicht stehen bleiben, sie würde nicht aufgeben.
So war sie während des Gewitters den Berg hinuntergekommen; sie hatte alles andere beiseitegedrängt bis auf das, was sie tun musste. Diesmal zumindest ging sie aufrecht, statt zu kriechen. Sie machte unermüdlich weiter und bewies dabei eine Entschlossenheit, auf die der härteste Soldat stolz gewesen wäre.
Schon vom bloßen Beobachten fing sein Herz zu schlagen an. Es gab Millionen süße, normale Frauen auf der Welt, in die er sich hätte verlieben können, aber er hatte sie gewählt, eine Frau mit Mumm in den Knochen und Stahl im Rückgrat. Wenn sie stritten – und sie
würden
streiten –, würde sie keinen Zentimeter nachgeben, wenn sie dachte, dass sie recht hatte. In den nächsten Tagen und Jahren mochten ihm möglicherweise ein paar harte Zeiten bevorstehen. Teufel, ja! Er konnte es kaum erwarten.
Nicht, dass er das Wort »Heirat« jetzt schon in den Mund genommen hätte, denn er wollte sie nicht verschrecken, bis sie sich ein wenig mehr an die Idee gewöhnt hatte, dass sie ein Paar waren. Sie brütete noch immer über den Gedanken nach, dass er ihr Boss wäre, was ihm sagen mochte, dass es ihr nicht einmal in den Sinn gekommen war, dass die Situation auch anders herum sein könnte, dass sie an eine halb professionelle Beziehung dachte statt an eine hundertprozentig persönliche Beziehung, in der sie definitiv die Oberhand haben würde, denn sie war verdammt noch mal eine Frau.
Was war bloß los mit ihr? Sollten es nicht die Frauen sein, die so stark auf Beziehungen und solchen Scheiß konzentriert waren? Sie hatte einen Fehler gemacht, sie hatte den Mumm gehabt, dafür zu sorgen, dass sie diesen einen Fehler nicht noch schlimmer machte, aber dann hatte sie sich in den Arsch gebissen, weil sie nicht eingeknickt war und so getan hatte, als wäre alles in Ordnung, und sie wäre bei jemandem geblieben, von dem sie wusste, dass er sie nicht so liebte, wie er es sollte. Dare hatte das Gefühl, dass Angie keine halben Sachen machte; sie war bereit, den endgültigen und definitiven Schritt, den sie unternommen hatte, um den Mann loszuwerden, der sie enttäuscht hatte, bis zum Ende durchzuziehen.
Er musste verrückt sein, so verrückt nach ihr zu sein, aber so war es nun mal, und er wollte verdammt sein, wenn er jetzt nicht glücklich darüber war. Vor drei Tagen hatte er noch gedacht, er müsse seinen Kopf mal untersuchen lassen, aber so schlimm die Gewitternacht auch gewesen war, seitdem hatte er erkannt, welche
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