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Lauf, so weit du Kannst!

Lauf, so weit du Kannst!

Titel: Lauf, so weit du Kannst! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Bowler
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was sie mir erzählt haben. Und an das, was sie getan haben. Da habe ich gewusst, dass es keinen Gott geben kann.
    Jedenfalls keinen, der mich liebt.
    Wenn es einen gibt, dann ist er anderweitig beschäftigt.
    Wie auch immer, jetzt ist es zu spät. Ich zittere mir das Leben aus dem Leib und heule, und ich will nur, dass es endlich vorbei ist. Aber jetzt fängt alles wieder von vorne an. Denn ich sehe einen Schatten am anderen Ende des Grabens rumschleichen.
    Verdammt, Bigeyes, kann ich nicht mal in Frieden sterben?
    Ich weiß nicht, was ich tun soll. Soll ich mich zur Öffnung des Rohrs vorschlängeln und abchecken, ob Gefahr besteht, oder soll ich weiter reinkriechen und außer Sicht bleiben? Eigentlich ist es das Beste, außer Sicht zu bleiben, aber wenn das Feinde sind und wenn sie hier reinschauen, dann stecke ich in der Falle.
    Ich muss die Lage checken.
    Ich habe das Messer immer noch fest in der Faust, siehst du? Wieder ist es einfach da. Ich muss nicht darüber nachdenken. Es ist einfach da. Wie auch immer …
    Ich schlängle mich zur Öffnung vor und spähe raus.
    Es ist ein Mann mittleren Alters. Und ich kenne ihn.
    Na ja, flüchtig. Jedenfalls ist er harmlos. Ein trotteliger Penner, der auf Müllkippen rumhängt. Ich habe ihn schon ein paarmal gesehen. Er ist keine Gefahr. Solange er kein Schwätzchen halten will. Das könnte meine Feinde herlocken.
    Denn sie sind immer noch in der Nähe.
    Das spüre ich.
    Verdammt, er hat mich gesehen. Er kommt rüber.
    Ein Koloss von einem Kerl, aber harmlos und dumm. Ich muss ihn loswerden. Er stapft her und bleibt vor dem Rohr stehen. Er schwankt wie ein Betrunkener, aber das tut er immer. Er starrt mit großen Augen auf mich runter. Sein Mund scheint Luft zu kauen.
    Â»Verzieh dich«, sage ich.
    Er rührt sich nicht, steht nur da und glotzt, als wüsste er nicht, was er tun soll.
    Â»Hau ab«, sage ich.
    Er starrt mich weiter an, kratzt sich am Kopf und niest.
    Â»Kalt«, sagt er plötzlich.
    Â»Ja, es ist kalt. Jetzt verpiss dich.«
    Ich drohe ihm mit dem Messer.
    Er geht trotzdem nicht. Was ist los mit dem Kerl? Ich habe nichts gegen ihn, aber ich will, dass er verschwindet. Er kratzt sich wieder am Kopf und zuckt die Achseln.
    Â»Kalt«, murmelt er. »Es ist …«
    Er beendet den Satz nicht, sondern dreht sich um und stapft davon. Er läuft in einem Bogen nach rechts. Dort sind noch mehr Rohre. Wahrscheinlich sucht er sich ein anderes. Ich strecke den Kopf raus, um mich zu vergewissern, dass er weg ist.
    Ja, er ist verschwunden. Hoffentlich lassen die Typen, die hinter mir her sind, ihn in Ruhe.
    Und uns auch.
    Ich fühle mich mies, weil ich ihn verscheucht habe. Er hatte nichts Böses im Sinn. Aber es wäre zu gefährlich gewesen, wenn er bei mir geblieben wäre. Außerdem habe ich eh keine Kraft zum Reden. Und auch keine Lust. Wenn ich sterbe, will ich nicht, dass einer wie er mir dabei zuschaut.
    Ich will allein sein.
    Ich rolle mich auf den Rücken und sehe nach oben.
    He, Bigeyes, schau dir den Nachthimmel an. Er ist so schön wie vorhin. Vielleicht sollte ich nicht so liegen bleiben, mit dem Kopf aus dem Rohr. Ich riskiere, dass ich gesehen werde, aber vielleicht auch nicht.
    Und ich wollte ja so sterben. Mit Blick auf die Sterne und den Mond mit dem komischen Gesicht.
    Ich riskier’s. Ja, warum nicht?
    Mensch, Bigeyes, das ist irre da oben. Die ganze Dunkelheit und das ganze Licht. Da ist das Sternbild Orion, siehst du? Ich erkenne es. In einer meiner Hütten lag dieses Buch über Astronomie rum. Von einem Professor.
    Der hat geschrieben, dass Sterne wie Menschen sind. Sie werden geboren, wachsen, werden alt und sterben. Die silberhellen Sterne sind die jungen. Die rötlich-orangen sind die alten. Und sie sind Milliarden und Abermilliarden Kilometer entfernt. Auf einem Taschenrechner sind nicht genug Nullen, um anzuzeigen, wie weit weg sie sind.
    Und unser Planet ist nur ein winziges Nichts.
    Ich sage dir, Bigeyes, er ist völlig unbedeutend. Wenn die Erde morgen explodieren würde, würde das Universum es nicht mal merken. Alles würde einfach weitergehen – die Zeit, der Raum und alles andere –, als hätte es uns nie gegeben.
    Denn wir zählen nicht. Wir sind nichts, du und ich. Schau zum Himmel rauf, Bigeyes. Zieh dir das ganze Universum rein. Wir sind nur Hoffnungen und Träume. Und noch was.
    Zu den Sternen …
    Ich sage dir

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