Lauf, wenn du kannst
saß winselnd im Bad und kratzte an der Tür. Mist, dachte ein Teil von Mr Bosu. Schließlich war heute erst seine zweite Nacht in einem richtigen Bett mit richtiger Bettwäsche. Er konnte Arme und Beine ausstrecken. Er konnte sein Gesicht in die Matratze vergraben, ohne dass ihm der Gestank von Pisse in die Nase stieg. Und deshalb würde er den Teufel tun und einem jaulenden kleinen Hund zuliebe aufstehen.
Die andere Hälfte seines Verstandes hingegen arbeitete gnadenlos logisch. Schließlich war er hellwach, und das schon seit Stunden. Also konnte er sich genauso gut um seinen Hund kümmern. Wer hatte auch wissen können, dass er nach seiner Entlassung aus dem Knast die Stille nicht aushalten würde?
Das Leben war eben ungerecht.
Mr Bosu stand auf und schlüpfte in seine Fünfhundert-Dollar-Hose. Dann öffnete er die Badezimmertür. Trickster sprang ihm in die Arme, wedelte überschwänglich mit dem Schwanz und leckte ihn am Kinn. »Ja, ja, ja«, sagte Mr Bosu bemüht mürrisch. Doch als Trickster ihm die untere Gesichtshälfte ableckte, war es endgültig vorbei mit seiner Brummigkeit. Eigentlich hatte er in den letzten fünfundzwanzig Jahren genug geschlafen. Nun war er ein freier Mann und verbrachte Zeit mit seinem Hund. »Also raus.« Er hakte Tricksters Leine ein und ging zur Tür. Für die heutige Nacht hatte Mr Bosu sich im Hampton Inn eingemietet, nett, aber nicht bemerkenswert. Er war nur einer von vielen Anzugträgern auf der Durchreise. Heute hier, morgen dort, nicht wert, dass man sich an ihn erinnerte.
Auf dem Parkplatz suchte sich Trickster einen geeigneten Busch und gab einen erschreckend kräftigen Strahl von sich. Um diese Uhrzeit war sonst niemand zu sehen. Ach, zum Teufel. Mr Bosu öffnete seine Hose und folgte seinem Beispiel. Ein Mann und sein Hund gingen zusammen pinkeln. Er fühlte sich gleich viel besser.
Und das war auch gut so, denn am Vorabend war Mr Bosu ziemlich niedergeschlagen gewesen.
Es hatte einen enttäuschenden Tag hinter sich, produktiv zwar, aber mit einem schalen Nachgeschmack. Das Mädchen hatte er rasch gefunden und beobachtet, wie es die bezeichnete Wohnung verließ. Dann war er ihr nachgegangen und hatte, mit dem Hund als Vorwand, ein Gespräch mit ihr angeknüpft. Alles hatte geklappt wie am Schnürchen. Nur ...
Erstens hatten seine neuen Kleider sie nicht beeindruckt. Er hatte in ihren Augen weder ein Funkeln noch auch nur einen Hauch von Interesse entdeckt. Das hatte ihn offen gestanden geärgert, denn schließlich sah er doch ziemlich gut aus. Zumindest so gut, dass eine fremde Frau eigentlich das Bedürfnis hätte bekommen müssen, ihn kennenzulernen und mit ihm zum Essen zu gehen. Aber dieses junge Mädchen – zu allem Überfluss keine Schönheitskönigin – hatte ihn kaum eines Blickes gewürdigt.
Nachdem sie Trickster kurz die Ohren gekrault hatte, war sie einfach weitergegangen.
Mr Bosu war verdutzt gewesen und hatte sich sputen müssen, um mit ihr Schritt zu halten. Komisch, nach fünfundzwanzig Jahren im Knast konnte man beim Gehen nicht mehr so schnell denken.
Die blöde Kuh ließ ihn einfach stehen. Mr Bosu konnte ihr weder eine Szene machen, noch zulassen, dass sie sich verdrückte. Denn sicher würde es ihren Argwohn wecken, wenn er ihr später rein zufällig noch einmal über den Weg lief. Nein, jetzt oder nie. Er hatte sich für eine Strategie entschieden, und es musste klappen.
Mitten auf der Straße war ihm schlagartig der zündende Gedanken gekommen. Womit kannte er sich aus und was hatte er am liebsten? Kinder. Und was war das Spezialgebiet eines Kindermädchens? Genau! Also fing er an, von seinen zwei Komma zwei Kindern und davon zu erzählen, wie schwierig es sei, gute Kinderbetreuung aufzutreiben. Hoppla! Schon hatte er ihre Aufmerksamkeit wieder.
Wie sich herausstellte, suchte Prudence Walker einen neuen Wirkungskreis, denn sie fand ihre derzeitige Familie interessanterweise »ein bisschen beängstigend«. Offenbar blieb die Kinderpflegerin davon nicht unberührt, wenn der Vater der Familie getötet wurde, während er Frau und Sohn mit der Waffe bedrohte.
Das hieß nicht, dass das Kindermädchen besagten Vater sehr vermisste. Er habe seine Hände nicht bei sich behalten können und zu viel getrunken und sei außerdem gewalttätig gegenüber seiner Familie gewesen. Anscheinend ein reizendes Früchtchen. Allerdings auch reich, was erklärte, wie er sich ein Haus in Back Bay leisten konnte, während andere Versager wie er im Knast
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