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Lauf, wenn du kannst

Lauf, wenn du kannst

Titel: Lauf, wenn du kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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konnte sein Auftraggeber das doch genauso gut selbst erledigen. Offen gestanden, wurden das bisschen Mord und Totschlag weit überschätzt. Wie zum Beispiel jetzt. Mr Bosu war müde, und außerdem hatte er Hunger. Und er sehnte sich nach einem ordentlichen Drink.
    Stattdessen stand er jetzt mit einer Leiche an einer Straßenecke und war gezwungen, das knutschende Paar zu mimen, um keinen Verdacht zu erregen.
    Wieder einmal blieb ihm nichts anderes übrig, als sich rasch etwas einfallen zu lassen.
    Gut. Er lehnte das tote Kindermädchen an eine Treppe. Sie wirkte ganz still und friedlich, als halte sie nur ein Nickerchen in der Sonne. Dann bog er um die Ecke und ging ein Risiko ein, das ihm eigentlich gar nicht gefiel. Er knackte ein Auto. Das wäre doch wirklich ein Witz, dachte er höhnisch, mit einem Mord durchzukommen und wegen Autodiebstahls verhaftet zu werden.
    Dann kehrte er zurück in die Hauptstraße und parkte den gestohlenen Wagen in zweiter Reihe. Er wartete, bis eine Lücke im Verkehr entstand und verfrachtete anschließend die Leiche unauffällig auf den Beifahrersitz. »Aber, Liebling, du darfst einfach nicht mehr so viel trinken«, verkündete er leicht entnervt. Dass auf den ersten Blick kein Mensch zu sehen war, hieß nämlich noch lange nicht, dass ihn wirklich niemand belauschte.
    Endlich war er mit dem Welpen, dem toten Kindermädchen und dem gestohlenen Wagen unterwegs. Jetzt musste er nur noch dafür sorgen, dass die Leiche zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort gefunden wurde. Mist, im Gefängnis hatte es ihn weit weniger Mühe gekostet, einen Mord zu veranlassen. Ein Glück, dass Wohltäter X das zusätzliche Geld herausgerückt hatte, denn diese Plackerei war eindeutig mehr wert als zehntausend Dollar. Inzwischen fühlte Mr Bosu sich auch mit dreißigtausend Dollar nicht überbezahlt.
    Mr Bosu zog das Mobiltelefon heraus und rief seine Kontaktperson an. Wie sich herausstellte, hatte er zufällig den richtigen Moment erwischt. Das Haus war leer, und er konnte sich ungehindert dort zu schaffen machen.
    Eine kurze Autofahrt brachte Mr Bosu zu dem Haus, von dem er nun schon seit einem halben Jahr träumte. Seit jenem ersten Anruf, als sein geheimnisvoller Auftraggeber die Hand ausgestreckt und seinem Leben auf wundersame Weise wieder einen Sinn gegeben hatte.
    Mr Bosu brauchte den Schlüssel des Kindermädchens nur einmal umzudrehen, und schon stand er im Haus. Er holte tief Luft und versuchte, einen Hauch ihres Parfüms zu erschnuppern. Doch er durfte sich nicht zu lange aufhalten. Heute nicht, aber, ach, ihr so nah zu sein ...
    Auf dem Weg die Treppe hinauf dachte er an sie. Als er die Leiter ausklappte, das Seil festband und sich mit dem pummeligen Körper des Mädchens abmühte, malte er sich ihre zarten Gesichtszüge aus. Und während er fein säuberlich eine Kerze nach der anderen aufstellte und sie liebevoll anzündete, erinnerte er sich wieder an seine Hände um ihren Hals.
    Er hatte zugedrückt. Jeden Tag hatte er zugedrückt. Und jeden Tag hatte er im letzten Moment innegehalten. Irgendwann würde er sein Werk vollenden, das hatten sie beide gewusst. Irgendwann würde die Begierde zu stark sein, und er würde ihr einfach den letzten gequälten Atemzug aus dem Körper pressen.
    Doch bis jetzt hatte er sich stets beherrscht und jedes Mal gesehen, wie Erleichterung in ihren Augen aufflackerte. Dann war er wieder hinauf ins Helle gestiegen und hatte sie mit einem fröhlichen Winken in der kalten schwarzen Erde zurückgelassen.
    Dann jedoch war der Tag gekommen, an dem er in ihr Geheimversteck zurückgekehrt war – vergnügt pfeifend und fröhlich, er hatte ihr zur Feier des Tages sogar ein Twinkie mitgebracht – und das Loch leer vorgefunden hatte. Er hatte einen starken Schmerz verspürt, gefolgt von Todesangst. Jemand hatte sie gestohlen, jemand hatte sie weggebracht, er würde sie nie wieder sehen ... Aber schon im nächsten Moment war ihm klar geworden, was in Wirklichkeit geschehen war. Sie war geflohen. Sie hatte ihn verlassen. Nach allem, was er für sie getan hatte, nach aller Zuwendung, die sie von ihm erfahren hatte. Nach all den Momenten, in denen er ihr Leben in der Hand gehalten und ihr dann erlaubt hatte, weiterzuleben ...
    Eine unbeschreibliche Wut hatte ihn ergriffen. Er war nach Hause zurückgekehrt, hatte sich in sein Zimmer gesetzt und mit dem Gedanken gespielt, jeden einzelnen Bewohner seiner Straße umzubringen. Angefangen bei seinen Eltern natürlich. Das war

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