Lauf, wenn du kannst
andere Menschen, sie betrügt. Laut ihrem Schwiegervater hat sie Jimmy nur des Geldes wegen geheiratet. Nach Auffassung von Staatsanwalt Copley misshandelt sie ihr Kind, um Aufmerksamkeit zu erzwingen. Doch ihrer eigenen Darstellung nach ist sie das Opfer. Und was mich betrifft ... manchmal glaube ich, dass die anderen Recht haben. Sie ist egoistisch, gefährlich und unberechenbar. Aber sie ist auch ... sie ist auch traurig.«
»Bobby, halten Sie es für klug, in dieser Situation Kontakt mit ihr zu haben?«
»Nein.«
»Trotzdem haben Sie sich mit ihr getroffen. Warum?«
»Weil sie mich immer wieder anruft.«
Als Elizabeth ihn zweifelnd musterte, hatte er wenigstens den Anstand, zu erröten. Dann zog er sich den Lehnsessel an den Schreibtisch und nahm endlich Platz. Elizabeth, der gar nicht aufgefallen war, dass sie die Luft angehalten hatte, atmete erleichtert auf.
»Es ist vermutlich ganz und gar nicht so, wie Sie glauben«, sagte er.
»Was glaube ich denn, Bobby?«
»Dass es eine ganz normale Schießerei war. Als ob es so etwas gibt«, fügte er spöttisch hinzu. »Hören Sie ... Ich habe mich nicht mit ihr Verbindung gesetzt, um Antworten zu finden. Sie hat sich an mich gewendet. Und dann ...« Er verzog das Gesicht. »Etwas ist da im Busch. Der Arzt, der ihren Sohn behandelt hat, wurde gestern Nacht ermordet. Heute Nacht ruft sie mich zu sich, und ich entdecke das Kindermädchen aufgehängt im Schlafzimmer. Jimmys Tod war nicht das Ende, Doc, sondern erst der Anfang.«
»Ich bin nicht sicher, ob ich das richtig verstehe.«
»Dann sind wir wenigstens schon zu zweit. Alle, die Kontakt mit dieser Frau haben, sterben. Und nun wird mein Leben in diesen Abgrund gezogen. Catherine Gagnon ist eine Frau, die mehr Hilfe braucht als jeder, den ich bis jetzt kennengelernt habe.«
»Also helfen Sie ihr? Warum, Bobby?«
Er runzelte die Stirn. Offenbar wusste er nicht, worauf sie mit dieser Frage hinauswollte. »Weil sie Hilfe nötig hat. Weil es normales menschliches Handeln ist.«
»Bobby, jeder Kontakt mit dieser Frau gefährdet Ihre berufliche Zukunft. Und außerdem fällt es Ihnen deshalb zunehmend schwerer, Distanz zu der Schießerei zu wahren. Offen gestanden riskieren Sie damit sogar Ihre seelische Gesundheit.«
»Mag sein.«
»Aber Sie springen trotzdem, sobald sie Sie ruft. Warum reagieren Sie auf ihre Anrufe, Bobby?«
Er runzelte noch immer die Stirn. »Ich bin Polizist.«
»Sie sind Polizist, und das heißt auch, dass Sie aus Ihrem Beruf viele andere Menschen kennen, an die Sie sie entweder verweisen oder die Sie bitten könnten, etwas für sie zu tun. Ist das richtig?«
Offenbar gefiel ihm diese Anmerkung gar nicht. »Wahrscheinlich schon.«
»Glauben Sie wirklich, dass Catherine Gagnon in Schwierigkeiten steckt, Bobby?«
»Ja.«
»Sind Sie so sicher? Sie haben sie doch eben selbst als Lügnerin bezeichnet.«
»Hören Sie, sie braucht Hilfe, und ich versuche, etwas für sie zu tun. Ich begreife nicht, was daran so falsch sein soll.« Wieder stand er auf und klopfte mit dem Fuß auf den Boden.
»Wann haben Sie zuletzt geschlafen, Bobby?«
»Vergangene Nacht. Drei Stunden.«
»Wann haben Sie zuletzt etwas gegessen?«
»Ich habe vorhin einen Kaffee getrunken.«
»Feste Nahrung, Bobby.«
»Frühstück. Heute Morgen«, kam die mürrische Antwort.
»Sie sind beim Joggen gewesen, richtig?«
Diesmal erwiderte er nichts.
Elizabeth zwang sich zur Ruhe.
»Zweiundzwanzig Kilometer«, stieß er schließlich hervor und fing wieder an, auf und ab zu laufen.
»Sie implodieren, Bobby. Das wissen Sie und ich ganz genau. Ich muss Sie noch einmal fragen: Halten Sie es wirklich für eine gute Idee, wenn Sie sich mit Catherine Gagnon treffen?«
»Es hat nichts mit ihr zu tun«, gab er zurück.
»Wirklich nicht?«
»Nein, ich glaube, es geht um meine gottverdammte Mutter.«
»Wir sprechen nicht über sie«, fügte er nach einer Weile hinzu. »In jeder Familie gibt es Tabuthemen. Und in meiner Familie ist eben sie es.«
»Wer sind wir?«
»Mein Vater, mein älterer Bruder George.« Inzwischen stand Bobby vor einem der gerahmten Diplome an Elizabeths Wand und starrte gedankenverloren auf die Glasscheibe. »Mein Vater hat früher getrunken.«
»Das haben Sie schon erwähnt.«
»Er war ein gewalttätiger Trinker.«
»Hat er Ihre Mutter, Sie und Ihren Bruder geschlagen?«
»Ziemlich regelmäßig.«
»Hat sich jemand in Ihrer Familie Hilfe gesucht?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Also war Ihr
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