Lauf, wenn du kannst
Krankenzimmer und wandte seine Aufmerksamkeit Nathan zu. Der Kinderarzt hielt das Krankenblatt in der rechten Hand.
»Wie geht es uns den heute, junger Mann?«, fragte Dr. Gerritsen.
»Okay.« Nathan musterte die vier Erwachsenen ängstlich.
»Laut Krankenakte scheint alles in Ordnung zu sein.«
»Wo ist Dr. Tony?«, wollte Nathan wissen.
»Dr. Rocco konnte heute nicht kommen, Nathan. Deshalb vertrete ich ihn. Einverstanden?«
Aber der Junge starrte Dr. Gerritsen nur an. Er mochte keine Ärzte, insbesondere keine fremden Ärzte, und sein Argwohn stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.
»Möchtest du gerne nach Hause?«, erkundigte sich Dr. Gerritsen.
Ein ernstes Nicken.
»Auch ich halte das für eine gute Idee. Ich sage dir etwas, Sportsfreund. Warum wartest du nicht einen Moment, während ich mit deinen Großeltern und deiner Mutter rede. Schwester Brandi, möchten Sie Nathan nicht zeigen, wie ein Stethoskop funktioniert?«
Nathan wusste nur zu gut, wie ein Stethoskop funktionierte. Sofort blickte er Catherine an, die sah, wie seine Panik wuchs. Obwohl sich in ihrer Brust dieselbe Angst ausbreitete, zwang sie sich zu einem aufmunternden Lächeln.
Schwester Brandi trat vor, und Dr. Gerritsen, James, Maryanne und Catherine zogen sich hinter den Vorhang zurück.
Dr. Gerritsen kam sofort auf den Punkt. »Richter Gagnon hat mir mitgeteilt, dass das Sorgerecht für Nathan strittig ist«, sagte der Arzt und sah Catherine unverwandt an. »Richter Gagnon und seine Frau haben das Sorgerecht für Nathan beantragt«, entgegnete Catherine ruhig. Dabei musterte sie den Leiter der Kinderklinik und versuchte verzweifelt, sich ein Bild von dem Mann zu machen. Älter. Ehering an der linken Hand. Glücklich verheiratet? Oder gelangweilt und ichbezogen – also reif für die Aufmerksamkeiten einer jungen, schönen Witwe?
»Er fürchtet um die Sicherheit des Jungen«, fuhr Dr. Gerritsen fort. Sein Tonfall war gemessen und sehr, sehr ernst.
Catherine kam zu dem Schluss, dass es nicht ratsam war, das Weibchen zu spielen, und entschied sich stattdessen für die Rolle der besorgten, respektvollen und einfühlsamen Schwiegertochter. Den Kopf ein wenig zur Seite gewandt und mit leiser Stimme, als wolle sie ihre Schwiegereltern nicht aufregen, erwiderte sie: »Richter Gagnon und seine Frau haben vor kurzem ihren Sohn verloren. Sie sind wundervolle Großeltern, aber ... sie sind im Moment nicht ganz sie selbst, Dr. Gerritsen. Sicher verstehen Sie, wie schwierig es für sie sein muss.«
»Wir sind geistig sehr wohl auf Zack, und das weißt du genau«, fiel James ihr grob ins Wort. »Also stell uns nicht als debile Tattergreise hin.«
Dr. Gerritsen blickte zwischen James und Maryanne und Catherine hin und her und wusste offenbar nicht, was er von alldem halten sollte. »Ich möchte ungern in Ihre Auseinandersetzung hineingezogen werden.«
»Das lag auch niemals in meiner Absicht«, versicherte Catherine.
»Laut Dr. Roccos Aufzeichnungen ist Nathan häufig krank«, fügte Dr. Gerritsen in vielsagendem Ton hinzu. »Außerdem ist er recht anfällig.«
»Dr. Rocco hat sich immer ausgezeichnet um Nathan gekümmert.«
Dr. Gerritsen sah sie zweifelnd an. Offenbar wusste er von ihrer Affäre mit Tony und ließ sich nicht täuschen. »Ich denke, Sie sollten den Jungen besser nicht mit nach Hause nehmen«, verkündete der Leiter der Kinderklinik.
Catherine wurde von Verzweiflung ergriffen und spürte Panik in ihrer Kehle aufsteigen. Auf James’ Gesicht breitete sich ein Grinsen aus.
»Doch leider«, fuhr Dr. Gerritsen rasch fort, »liegt die Entscheidung nicht bei mir.«
»Was?«, entsetzte sich James.
»Derzeit ist sie noch Nathans gesetzlicher Vormund.« Dr. Gerritsen zuckte die Achseln. »Tut mir leid, Richter Gagnon, aber mir sind die Hände gebunden.«
Maryanne begann, den Kopf zu schütteln, wie eine Frau die plötzlich aufwacht, nur um festzustellen, dass sie sich mitten in einem Albtraum befindet.
»Gefahr im Verzug«, gab James rasch zurück. »Sie hatten den Eindruck, dass dem Jungen unmittelbar Gefahr drohte, was rechtfertigte, ihn mit seinen Großeltern nach Hause zu schicken.«
»Aber ich habe diesen Eindruck nicht.«
»Die Krankengeschichte des Jungen. Sie haben selbst gesagt, dass da etwas faul ist.«
»Er braucht uns«, klagte Maryanne. »Er hat doch sonst niemanden mehr.«
Dr. Gerritsen bedachte Maryanne mit einem mitfühlenden Blick und wandte sich dann wieder James zu. »Verdächtig ja, aber es gibt
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