Lauf, wenn du kannst
keine eindeutigen Beweise.«
Inzwischen kochte James vor Wut. »Sie ist eine Bedrohung für dieses Kind!«
»Wenn das wirklich so wäre«, wandte Catherine ruhig ein, »aus welchem Grund sollte ich ihn dann immer wieder zur Behandlung ins Krankenhaus bringen?«
»Weil das deine Methode ist!«, brüllte James. »Du benutzt dein Kind, um im Mittelpunkt zu stehen und die Rolle der leidenden Mutter zu spielen. Ich habe versucht, Jimmy zu warnen und ihm klar zu machen, was du da treibst. Du fügst deinem eigenen Sohn Schaden zu. Es ist widerlich!«
»Aber jetzt brauche ich die Rolle der leidenden Mutter doch nicht mehr zu spielen, um Aufmerksamkeit zu bekommen, oder, James?« Catherine sah ihrem Schwiegervater in die Augen. »Denn inzwischen bin ich ja die trauernde Witwe.«
Als James plötzlich ein wütendes Knurren ausstieß, befürchtete Catherine schon, er könnte sich auf sie stürzen und ihr an die Gurgel gehen. Allerdings hätte das gar nicht zu ihm gepasst. Während Jimmy seiner Wut stets hemmungslos Luft gemacht hatte, war sein Vater kalt wie ein Fisch.
»James, Liebling«, flüsterte Maryanne. »Bekommt sie Nathan? Du hast doch gesagt, das würde nicht passieren. Warum geschieht es dann trotzdem?«
James legte die Arme um seine bebende Frau, drückte sie an sich und tätschelte sie tröstend. Dabei starrte er Catherine weiter finster an. »Es ist noch nicht vorbei«, verkündete er mit wütendem Triumph in der Stimme.
»Für heute schon.«
Dr. Gerritsen hatte genug von dem Familiendrama und winkte Catherine hinter den Vorhang. »Ich bedaure, Richter Gagnon, aber juristisch kann ich nichts tun, um zu verhindern, dass Mrs Gagnon ihren Sohn mitnimmt. Sollten die Umstände sich ändern, bin ich Ihnen natürlich gerne behilflich. Aber bis dahin ...«
Dr. Gerritsen zuckte die Achseln. Catherine duckte sich unter seinem Arm durch und verzichtete darauf, James über die Schulter hinweg triumphierend zuzugrinsen. Maryanne ins trauernde Gesicht zu sehen wagte sie nicht. Also steckte sie Nathan einfach in seinen Wintermantel und verschwand, so schnell sie konnte.
Auf der Heimfahrt schwieg Nathan. Er saß hinten in seinem Kindersitz und umklammerte mit der rechten Hand den Sicherheitsgurt. Catherine überlegte, was sie sagen sollte, und war fast genauso traurig wie Nathan, weil Prudence heute frei hatte.
Nachdem sie den Wagen in einer engen Parklücke abgestellt hatte, ging sie um das Fahrzeug herum, um Nathan vom Rücksitz zu holen. Die Sonne schien, und der Nachmittag war erstaunlich warm. Als sie die Straße entlang blickte, sah sie einige ihrer Nachbarn, die mit ihren Kindern oder Hunden spazieren gingen. Sie fragte sich, ob es wohl seltsam war, dass sie ihren eigenen Nachbarn nicht zuwinkte.
Unbeholfen in seinem dicken Wollmantel und den neuen Cowboystiefeln, kletterte Nathan aus dem Wagen. Der Mantel, ein Geschenk seiner Großeltern, war ihm drei Nummern zu groß. Aber zumindest passten die Cowboystiefel, die aus der Kinderabteilung von Ralph Lauren stammten. Nathan weigerte sich, aufzublicken und die Straße oder ihr Haus anzusehen. Zwar legte er gehorsam die Hand in die von Catherine, doch je näher sie der Vortreppe kamen, desto mehr zog er die Füße nach. Widerstrebend schlurfte er neben ihr her und trat nach herumliegenden Blättern.
Catherine betrachtete die Eingangstür und dachte an die Vorhalle dahinter und an die Treppe, die hinauf in ihre Wohnung führte. Sie stellte sich das Schlafzimmer mit dem herausgerissenen Teppich, den bespritzten Wänden und den hastig umgeräumten Möbeln vor. Plötzlich hatte auch sie keine Lust mehr, die Stufen hinaufzugehen, und wünschte sich, sie beide könnten einfach davonlaufen.
»Nathan«, meinte sie leise. »Sollen wir zwei ein bisschen in den Park gehen?«
Nathan hob den Kopf und nickte so heftig, dass sie lächeln musste, obwohl ihr das Herz wehtat. Sie machten sich auf den Weg die Straße hinunter.
Im Public Garden herrschte Hochbetrieb: junge Liebespaare, Hundebesitzer und Familien mit wild herumtobenden Kindern. Catherine und Nathan schlenderten zum Wasser, wo im Sommer Schwanenboote herumpaddelten. Sie kaufte Popcorn bei einem Händler, und dann amüsierten sie sich damit, die überall herumlaufenden Enten zu füttern. Schließlich setzten sie sich auf eine Parkbank am Rande einer Lichtung, wo Kinder, so alt wie Nathan, aber doppelt so groß wie er, lachend im inzwischen verblassenden Sonnenschein herumtollten. Nathan unternahm nicht einmal
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