Lauf, wenn es dunkel wird
gelassen und unbekümmert. »Sie musste aufs Klo. Ich wollte sie gerade wieder anbinden, als ihr beide zurückgekommen seid.«
»Bist du sicher, dass da nicht noch mehr abgegangen ist?«, sagte der widerliche Typ. »Ich mein, vielleicht hast du es ja ausgenutzt, dass du endlich mal ein Mädchen in deinem Bett hast.«
Das war also Griffins Zimmer und kein Gästezimmer. Cheyenne war überrascht.
»Fass die Ware besser nicht an«, sagte der andere Mann. Er schien schlauer zu sein, aber nicht viel. »Vergiss nicht, beschädigte Ware gilt als gekauft.«
Cheyenne wollte die Aufmerksamkeit von ihren ungefesselten Handgelenken wenden und steckte die Hand, die nicht mehr hinter ihrem Rücken war, in ihre Manteltasche. Beinahe hätte sie sich dabei an dem Glasstück geschnitten, das sie vorher dort versteckt hatte. Es lag in das Hundetrockenfutter eingebettet, mit dem ihre Taschen ständig vollgestopft waren, seit sie Phantom bekommen hatte. (Cheyenne hatte auf die harte Tour gelernt, immer erst die Taschen auszuräumen, bevor sie ihre Kleider in die Waschmaschine steckte.) Das Trockenfutter war als Belohnung gedacht, aber auch für die Gegenkonditionierung, wie die Blindenhundeschule es nannte. Wenn Phantom abgelenkt war, gab sie ihm ein Stück Trockenfutter und bekam ziemlich sicher seine Aufmerksamkeit wieder zurück.
»Hol mir die Schnur«, sagte der zweite Mann. »Überlass das Anbinden jemandem, der was davon versteht.«
Der Widerling kicherte.
Kurz dachte Cheyenne daran, ob sie das Glas benutzen sollte, um sie alle auf Abstand zu halten. Aber was dann? Sie konnte sich keine Situation vorstellen, in der sie die Oberhand hatte und die länger als ein paar Sekunden andauerte. Wahrscheinlich war es nicht einmal möglich, jemanden mit einem zerbrochenen Stück Glas zu verletzten, ohne sich dabei selbst zu schneiden.
»Ich habe alles unter Kontrolle«, sagte Griffin. »Und bei ihr besteht ja auch keine große Fluchtgefahr. Sie ist blind, schon vergessen? Ihr beide solltet lieber wieder rausgehen und den Toyota fertig machen.«
Niemand rührte sich. Es war völlig still. Cheyenne wünschte, sie wüsste, was gerade geschah. Sie konnte spüren, wie sich in der Stille die Spannung zwischen Griffin und den beiden Männern ausbreitete.
Der zweite Mann lachte. »Das glaubst auch nur du, dass du die Dinge unter Kontrolle hast.« Aber seine Stimme klang, als sagte er das bloß, um sein Gesicht zu wahren, als wollte er, dass es wie sein eigener Entschluss aussah und nicht der von Griffin.
Cheyenne und Griffin waren beide still, bis sie hörten, wie die Haustür geöffnet und wieder geschlossen wurde. »Danke. Ich mag die nicht!«, sagte Cheyenne dann.
»Da bist du nicht die Einzige.«
»Wer sind sie?« Cheyenne versuchte dabei bewusst in sein Gesicht zu blicken. Menschen wurden nervös, wenn man sie nicht ansah, aber für Cheyenne waren Gesichter nicht mehr wichtig. Es war nur der Ort, wo die Stimmen herkamen.
»Die arbeiten für meinen Dad.«
»Was genau?« Was für eine Art von Angestellter akzeptierte einfach, wenn man mit einem entführten Mädchen auftauchte?
Griffin zögerte sehr lange, sodass sie sich fragte, ob er überhaupt darauf antworten würde. »Wir verkaufen günstig Autos und Autoteile«, sagte er schließlich. »Angenommen, du willst einen Sitz für einen Honda Civic. Wenn du ihn bei einem Händler besorgst, musst du 3000 Dollar dafür bezahlen. Wenn du ihn bei uns kaufst, bekommst du ihn billiger. Viel billiger.«
»Und warum ist er so viel billiger?« Jetzt, wo die beiden Männer weg waren, erinnerte ihr Körper sie daran, wie krank sie war. All ihre Energie war für ihren Fluchtplan draufgegangen. Dann hatte sie sich entschlossen, dass es besser war, sie würde nach einem Telefon suchen, wenn das Haus erst einmal leer wäre, und dann hatte sie mit Griffin gekämpft. »Habt ihr einen Schrottplatz oder so was?«
»Oder so was.« Griffin seufzte und ließ sich am Fußende des Bettes nieder. Cheyenne zog ihre Füße zu sich, damit sie ihn nicht berührte. »Wir machen ein bisschen dies und das.« Er holte tief Luft. »Wir kaufen zum Beispiel Unfallautos. Krempel, den die Versicherungen als Totalschaden eingestuft haben.«
»Und von denen benutzt ihr die Einzelteile?«
»Meistens nehmen wir nur ein paar von den Einzelteilen, und das war’s dann. Nur die mit der FIN drauf.«
»Was ist eine FIN?«
»Die Fahrzeugidentifikationsnummer. FINs sind wie Sozialversicherungsnummern, nur eben für Autos.
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