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Lauf, wenn es dunkel wird

Lauf, wenn es dunkel wird

Titel: Lauf, wenn es dunkel wird Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: April Henry
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rausgehst?«
    Sie dachte an Phantom und ihren zerstörten Stock. Tränen stiegen in ihr auf. Doch sie würde nicht weinen. »Meistens nehme ich Phantom. Gestern habe ich meinen Stock genommen, weil meine Stiefmutter meinte, dass es einfacher wäre.«
    »Ist es nicht komisch, wenn man von einem Hund herumgezogen wird? Kannst du ihm wirklich vertrauen?« So wie Griffin das sagte, klang es, als würde er nicht vielen Dingen vertrauen.
    »Ich habe Phantom erst seit drei Monaten, aber es fühlt sich an, als wäre er schon immer bei mir gewesen. Ich wünschte, ich hätte ihn wirklich schon immer gehabt, aber man bekommt einen Blindenhund erst mit sechzehn.« Sie dachte an den ersten Morgen, nachdem sie Phantom bekommen hatte. Als sie aufgewacht war, lag sein Kopf über ihrem Nacken. In dem Moment hatte Cheyenne gewusst, dass sie zusammengehörten. »Ich vertraue ihm völlig. Er hält nach allem Ausschau, was mich verletzen könnte - Bordsteinkanten, tief hängende Zweige, Skateboardfahrer, Telegrafenmaste, Löcher im Gehweg. Einmal hat er mir sogar schon das Leben gerettet.«
    Griffin berührte ihr Knie. »Was ist passiert?«
    »Ich habe eine Kreuzung überquert, als da ein Auto ohne anzuhalten rechts abgebogen ist. Phantom hat sich gegen meine Beine geworfen und so lange dagegengedrückt, bis ich zurückgegangen bin.« Cheyenne erinnerte sich an das Kreischen der rutschenden Autoreifen und den Luftstoß, als das Auto so nah an ihr vorbeigezischt war, dass der Kotflügel Phantoms Fell zerzaust haben musste. Andere Fahrer hatten gehupt und gebrüllt, aber das Auto hatte einfach nicht angehalten. »Wenn Phantom mich nicht aus dem Weg gedrängt hätte, wären wir wahrscheinlich beide getötet worden. Und wenn ich nur meinen Stock gehabt hätte, wäre ich auf jeden Fall überfahren worden.«
    »Also ist ein Hund besser als ein Stock?«
    »Mit einem Blindenhund ist alles besser. Der Unterschied zwischen einem Hund und einem Stock ist gigantisch. Vorher war es so, als wäre ich unsichtbar. Jetzt reden die Leute mit mir. Sie erzählen mir, wie klug er ist, selbst wenn er sich einfach nur hinlegt. Sie erzählen mir Geschichten von ihren eigenen Hunden. Sie wollen ihn streicheln. Und manchmal mu ss ich fast ein bisschen schroff werden, weißt du, so in die Richtung: Mein Hund arbeitet. Aber der größte Unterschied ist einfach, wie ich mich fortbewege. Mit ihm schlängle ich mich durch Leute hindurch, ganz geschmeidig. Phantom ist so gut, dass ich den Flur in der Schule entlanglaufen kann und nicht mal die Schultern von anderen berühre.«
    Es war unglaublich schwierig gewesen, als sie das erste Mal wieder zur Schule gegangen war und nur ihren Blindenstock gehabt hatte, der ihr den Weg zeigte. All ihre Freunde hatten Abstand zu ihr gehalten, abgesehen von Kenzie und Sadie. So als wäre sie plötzlich eine andere Person, als würden sie sie gar nicht kennen.
    Und um ehrlich zu sein, war es ja auch so. Vor dem Unfall war sie kontaktfreudig gewesen. Sie sang gerne vor sich hin, plapperte und rief im Gang laut nach jedem, den sie sah. Nach dem Unfall war sie ruhiger geworden. Und das lag nicht nur an ihrer Traurigkeit. Ohne ihr Augenlicht waren ihre Ohren ihre Verbindung zu anderen Menschen. Die Blindheit hatte ihr die nonverbalen Hinweise weggenommen, die ihr sagten, ob jemand müde war, traurig, glücklich oder besorgt. Wenn sie sich darauf konzentrierte, konnte sie diese Gefühle immer noch aus den Stimmen heraushören. Aber dadurch war ihre eigene Stimme verstummt.
    Im Rehabilitationszentrum waren die Gänge gerade breit genug, dass zwei Leute aneinander vorbeigehen konnten. In Catlin Gabel fühlte es sich so an, als wären die Wände meilenweit auseinander. Wenn viel los war, musste sie manchmal mitten im Gang laufen, ohne die Sicherheit der Wände. Das Schlimmste waren die kurzen Pausen zwischen den Kursen, wo nur ein paar Minuten blieben, um von einem Raum in den nächsten zu kommen. Wenn sie sich beeilte und in jemanden reinlief, war es der Person ziemlich peinlich, aber ihr war es noch viel peinlicher.
    Wenn sie dann endlich im richtigen Klassenzimmer war - und bevor sie Phantom hatte, konnte sie da nie wirklich sicher sein - musste sie ihren Platz finden, ohne dabei gegen allzu viele Sachen zu stoßen. Sie fragte sich immer, welche Jungen da gerade rumstanden. Wer sie beobachtete. Ob sie lachten. Sie wollte cool und anmutig sein, aber stattdessen kam sie sich ungeschickt und verschwitzt vor. Aber jetzt mit Phantom bewegte sie

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