Laugenweckle zum Frühstück
konnte ich mir tiefe Ausschnitte leisten. Damit man nicht merkte, dass ich keinen hatte, zog ich meinen übriggebliebenen Push-up-BH an. Mich an das Muskatnuss-Mehl-Desaster erinnernd, investierte ich in einen kirschroten Lippenstift. Ich war arbeitslos und konnte mir solche Sperenzchen eigentlich nicht leisten, aber, hey, ich war auch nur ein Mensch!
Eigentlich hatte ich ja Leon abholen wollen, aber wegen der Einkaufsaktion und weil ich drei Anläufe brauchte, bis sich der Lippenstift auf den Lippen und nicht daneben befand, war ich spät dran. Um acht klingelte es. Ich warf mich in meinen dicken Daunenanorak. Nachttemperaturen von minus 10 Grad waren vorhergesagt, das war kein Wetter für Eitelkeiten. Ich zog mir eine dicke Wollmütze über die Ohren und warf einen raschen Blick in den Spiegel. Der Kontrast zum Lippenstift war etwas seltsam. Ich öffnete die Tür und sauste hinaus.
»Hallo Leon, wir sind spät dran, Lila wird schon warten.« Ich zischte an ihm vorbei, und ohne ihn anzusehen, die Treppe hinunter. Ich wollte keinen blöden Kommentar zu dem Lippenstift hören.
»Hallo Line, ja, und auch dir einen guten Abend!« Leon folgte mir auf dem Fuß. Ohne Zwischenfälle passierten wir den vierten Stock. Wahrscheinlich sah sich Frau Müller-Thurgau gerade die Nachrichten an. Auch im dritten Stock war alles ruhig. Kein cholerischer Herr Tellerle, der soeben entdeckt hatte, dass Max ein Double war. Schade, dass das Haus keine Feuertreppe hatte wie bei »Frühstück bei Tiffany«, dann hätte ich es ohne Herzklopfen verlassen können.
Wir traten hinaus in die kalte Nacht, aber bevor ich weitersausen konnte, packte Leon mein Handgelenk.
»Moment«, sagte er und sah mich an. Leider würde er im Licht der Eingangsbeleuchtung meinen Lippenstift ziemlich genau erkennen. Sein Blick blieb auf meinen Lippen hängen, aber er sagte nichts. Er hob nur den Arm, der nicht mein Handgelenk festhielt, und zupfte eine Haarsträhne unter meiner Mütze hervor. O my God. Was würde denn nun passieren? Mir wurde trotz der Kälte ziemlich warm. Leon lächelte mich an. »Bevor du mit achtzig Stundenkilometer die Reinsburgstraße runter rast ... ich wollte dir nur sagen, dass ich mich auf heute Abend gefreut habe.« Er machte eine Pause. »Und darauf, Lila kennen zu lernen, natürlich.« Er ließ mein Handgelenk los.
»Äh ja, ich auch«, murmelte ich. Was sollte das denn nun? Konnten wir nicht einfach ganz entspannt etwas trinken gehen? Ich
hasste
es, wenn Männer, von denen ich nichts wollte, emotional wurden!
Wir gingen schweigend die Reinsburgstraße hinunter. Es hatte frisch geschneit und der Schnee knirschte unter unseren Füßen. Leon hakte sich bei mir ein. Zum Glück trug ich die dicke Jacke. Da konnte er mir nicht ganz so nahe kommen.
Die
Rosenau
brummte nur so. Samstagabend-Flirt-Prime-Time. Ich sah mich suchend um. Lila stand am Tresen, in einem weiten lila Hemd, das ihrem Namen alle Ehre machte, eine bunte Ethno-Kette um den Hals, ein Bierglas vor sich, und lauschte einem der Barkeeper, der ihr offensichtlich sehr eindringlich etwas erzählte. Ich wusste, was das bedeutete. Normalerweise schütteten betrunkene Menschen, die sich selbst bedauerten, dem Barkeeper ihr Herz aus. Aber Lila hatte so eine Art an sich, dass ihr jeder Mensch nach ungefähr zwanzig Sekunden sein Herzeleid beichtete. So etwas Mütterliches. Das hatte natürlich auch mit ihren runden Formen zu tun – jeder wollte sich sofort an ihren großen Busen drücken lassen. Nicht umsonst war sie Sozpäd geworden, aber das stand ihr ja eigentlich nicht auf die Stirn geschrieben. Wahrscheinlich hatte sie schon unzählige Menschen davor bewahrt, in den Neckar zu springen, und dafür gebührte ihr eigentlich das Bundesverdienstkreuz. Blöd war nur, dass sich fast nie jemand in Lila verliebte, obwohl sie so ein prima Kerl war. Sie war einfach zu nett.
Der Barkeeper nickte mir zu. Leon strahlte Lila an. Lila strahlte zurück. Irgendwie kam mir die Szene bekannt vor. Ach ja. Dorle und Leon. Vielleicht sollte man den Kerl bei eBay in der Sektion »Der perfekte Schwiegersohn« meistbietend versteigern. Dabei konnte man vermutlich ziemlich reich werden.
»Hallo Lila.« Lila und ich umarmten uns. »Das ist Leon. Leon, das ist Lila.« Leon gab Lila die Hand, beide strahlten weiter und fingen sofort ein Gespräch im Stehen an. Der Barkeeper sah enttäuscht aus und kümmerte sich wieder um seine vernachlässigten Gäste, nachdem er mich begrüßt hatte. Ich fing an,
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