Laugenweckle zum Frühstück
Polittalkshow noch Inhalt einer Quizfrage bei Günther Jauch geworden.
Ich fuhr mit der S-Bahn in die Stadt des Geburtenreichtums. Frank hatte angeboten, mich vom Bahnhof abzuholen. Ich hatte abgelehnt, so kam ich wenigstens ein bisschen an die frische Winterluft. Ich zog die Mütze über die Ohren und stapfte an der Hauptstraße entlang zur Neubausiedlung am anderen Ende des Ortes. In einem Vorgärtchen stand Schneewittchen zwischen einem Rehkitz und einem Fliegenpilz inmitten der sieben im Schnee halb ertrunkenen Zwerge. Das Gärtchen war das bevorzugte Ausflugsziel meines dreijährigen Neffen Salomon.
Lila liebte es, meine Familie zu analysieren.
»Katharina hat als Gegenentwurf zu deiner Mutter einen spießigen Lebensplan realisiert, der auf Sicherheit und Gewohnheit basiert. Keine Sorge, irgendwann wird ihr das zu viel und dann bricht sie aus. Du dagegen, vom Negativbeispiel der nicht funktionierenden, sprachlosen Ehe deiner Eltern traumatisch gezeichnet, flüchtest dich in das Gegenteil: Du verweigerst die Festlegung auf einen Partner, sehnst dich aber im Grunde nach einer dauerhaften Beziehung.«
»Ich würde mich schon festlegen«, sagte ich darauf. »Ehrlich. Mir ist bloß bisher nicht so wirklich jemand begegnet, der sich für diesen Job eignen würde. Und gerne in die Oper geht. Und Tolstoi liest. Und gut aussieht. Und sich für Darfur engagiert so wie George Clooney. Und überhaupt. Und überhaupt, wie sieht es denn bei dir aus?«
Lila war schließlich auch Single, obwohl ihre Eltern von einer so seltenen Art waren, dass man sie eigentlich schon längst im Schwabenpark hätte ausstellen müssen. Kam Lila unangemeldet in Cannstatt bei ihnen vorbei, warf Papa Lila sofort bereitwilligst die Heckenschere hin, während Mama Lila sich die Schürze abband und den duftenden Apfelkuchen aus dem Ofen zog, den sie ganz zufällig gerade gebacken hatte. Sie setzten sich mit ihrer Tochter an den Kaffeetisch und fragten sie liebevoll, was sie gerade so machte und wie es ihr ginge. Das war noch nicht alles. Sie fragten nicht nur danach, sie hörten sich auch die Antworten an! Es war ab-so-lut faszinierend. Manchmal ließ ich mich von Lila mitschleppen. Ich redete mehr mit Papa und Mama Lila, als ich jemals mit meinen eigenen Eltern geredet hatte. Wenn also die Familie darüber entschied, ob und welchen Partner man fand, dann hätte aus Lila schon längst so eine Art Brangelila werden müssen.
Meine Familie dagegen war völlig normal. Sie nahm, seit ich denken konnte, am Wettbewerb »Wie man einen ganzen Nachmittag miteinander verbringt ohne ein einziges vernünftiges Wort miteinander zu wechseln« teil. Dass wir bisher keinen Preis gewonnen hatten, lag vermutlich an der Tatsache, dass ziemlich viele Familien bei diesem Wettbewerb mitmachten. Ich meine, da hatte man jahrelang zusammen Loriot gesehen, die beste Familientherapie, die es gab, sich gemeinsam schlapp gelacht über Weihnachten bei Hoppenstedts und Herrn Müller-Lüdenscheidt und was war dabei herausgekommen? Nichts. Sich anbahnende gefährliche, ernsthafte Gespräche wurden in der Regel durch die Kinder im Keim erstickt, die
a) gestillt oder gewickelt werden mussten (bis etwa zwei Jahre) oder
b) das Gespräch unterbrachen (ab etwa eineinhalb Jahren) oder
c) ein hervorragendes, unverfängliches Gesprächsthema abgaben.
Meine siebenjährige Nichte war solch ein unerschöpfliches Thema. Mit vier hatten die Erzieherinnen Katharina und Frank zum Gespräch einbestellt und sie beschworen, das hochbegabte Kind, das sich mit drei selber Lesen, Schreiben und Surfen im Internet beigebracht hatte, mit fünf in die Schule zu stecken, weil sie keine Lust mehr hatten, beim morgendlichen Stuhlkreis mit Lena über Bushs Irakpolitik zu diskutieren. Jetzt war sie in der dritten Klasse und tyrannisierte abwechselnd ihre Klassenlehrerin und den Religionslehrer, den sie vor kurzem gebeten hatte, ihr zu erklären, wie sich die Schöpfungsgeschichte zur Evolution verhielt, mit besonderer Berücksichtigung der amerikanischen Kreationisten.
»In letzter Zeit überlege ich mir öfter, ob sie das Kind nicht im Böblinger Kreiskrankenhaus vertauscht haben«, sinnierte Katharina und hielt mir fragend die Kaffeekanne hin. »Ich meine, weder Frank noch ich sind überdurchschnittlich intelligent. Gestern hat sie Salo in der Badewanne das Ansteigen der Meeresspiegel durch die Erderwärmung demonstriert. Am Ende standen Bangladesch, die Halligen und unser Badezimmer unter
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