Laugenweckle zum Frühstück
weil selbst die katholischen Dorfbewohner auf keinen Fall die einzige filmreife Märchenhochzeit verpassen wollten, die das Dorf je erleben würde. Und natürlich hatte das Ereignis Erinnerungen an die Hochzeit meiner Mutter wachgerufen, die aufgrund des maßlosen Wodkakonsums der russischen Gäste und des minikurzen, tief ausgeschnittenen Kleides meiner Mutter ein einziger Skandal gewesen war.
Meine Schwester war ja schon immer sehr hübsch gewesen, aber mit Anfang zwanzig hatte sie den letzten Rest von Kindlichkeit verloren und war atemberaubend schön. Sie war schmal gebaut, ohne jedoch eckig zu wirken wie ich, hatte riesige braune Augen mit dichten Wimpern und schulterlanges, dunkles Haar, und wenn noch irgendjemand daran gezweifelt hatte, dass sie Audrey Hepburn ähnelte, dann wurde er spätestens bei der Hochzeit eines Besseren belehrt. Als sie die Kirche an der Seite meines Vaters betrat, gekleidet in ein cremefarbenes, schlicht-elegantes Kleid, knielang, ohne Schleier, nur mit ein paar Blüten in den hochgesteckten Haaren, ging ein Aufseufzen durch die gaffende Menge, gefolgt von Kleiderrascheln, Räuspern und unruhigem Auf-der-Stelle-Hin-und-Hertreten. Wie eine Welle ging die Aufregung durch die Hochzeitsgäste, sie pflanzte sich nach vorne Richtung Altar fort und erreichte Frank, dem der Schweiß, der ihm bisher nur auf der Stirn gestanden war, nun gnadenlos über das Gesicht lief und auf den Kragen seines Hochzeitshemdes tropfte.
Die Verehrer hatten bei ihr Schlange gestanden. Sie hatten sie mit parfümierten Briefen bombardiert, ihr zu C-F-GAkkorden auf der Klampfe bei Vollmond mit Inbrunst selbst gedichtete Lieder vorgetragen und den Hof unseres Hauses in der Nacht zum 1. Mai in einen Birkenbaumhain verwandelt. Katharina nahm alles leicht zerstreut zur Kenntnis, stapelte neben ihrem Bett die Kassetten, die ihr die Jungs liebevoll aufgenommen hatten, und traf sich weiterhin mit Frank.
An ihrer Seite fühlte ich mich wie Frankenstein Junior. Ich hatte mich an die Rolle schon längst gewöhnt. Als mein Vater uns einmal zu einem Abendessen mit Geschäftskollegen mitnahm, weil Dorle ihm mal wieder die Hölle heiß gemacht hatte, er würde uns zu viel allein lassen, fragte eine der aufgetakelten Ehegattinnen zuckersüß, welche von uns beiden adoptiert worden sei. Immerhin war es bei der Hochzeit beruhigend, dass auch der stinknormale Frank nicht aus demselben Universum zu stammen schien wie die Hollywood-Schönheit an seiner Seite, und ich hörte, wie die Leute mit der in Schwaben üblichen Diskretion unüberhörbar tuschelten: »Ha, die hett sich abr au an scheenere Kerle raussuche kenne!« Beinahe wunderte es mich, dass niemand von der
Bunten
oder vom
Neuen Blatt
gekommen war, um exklusiv Hochzeitsfotos zu schießen und Spekulationen über das kleine Bäuchlein anzustellen, das sich unter Katharinas enganliegendem Brautkleid abzeichnete.
Meine Mutter sagte nichts zur Hochzeit, war elegant gekleidet wie immer und verkroch sich nach dem Sektempfang auf ihr Sofa, während die anderen Gäste wieder mal in den
Bären
zogen. Mein Vater wackelte mit dem Kopf und machte sich Sorgen. »Wenn du nur glücklich wirst, Prinzessin«, murmelte er und küsste sie auf die Wange, nachdem er eine holprige Rede gehalten hatte. Er hatte sie schon immer Prinzessin genannt, während er mich Böhnchen nannte, als Abkürzung von Bohnenstange. Dorle hingegen war mit Katharinas Wahl sehr zufrieden, weil Frank ein grundsolider Kerl war, der im Posaunenchor Trompete spielte. »Desch a rechder Kerle«, sagte sie und nickte energisch mit dem Kopf, was den strammen Haarknoten auf ihrem Hinterkopf jedoch unbeeindruckt ließ. »Dem laufad d’Mädla net so hendrdrai, on no bscheißd er di au net.«
Der rechde Kerle fand eine Stelle als Programmierer bei IBM auf der Hulb bei Böblingen und nach einigen Jahren bauten sich die beiden ein Haus in Gärtringen. Mit den mittlerweile zwei Kindern gehörten sie in Gärtringen einer Minderheit an. Bei Katharinas 30. Geburtstagsfest hatte ich ausgerechnet, dass das Verhältnis Erwachsene – Kinder 2:3,2 betrug, was durchaus der Norm entsprach. In der Regel hatte eine Gärtringer Familie drei, nicht selten vier und durchaus auch mal fünf Kinder, was möglicherweise am Leitungswasser lag. Seltsamerweise war weder der CDU noch Ursula von der Leyen aufgefallen, dass das Städtchen dem demographischen Wandel ein Schnippchen schlug, und so waren die Geburten im Gäu bisher weder Gegenstand einer
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