Laugenweckle zum Frühstück
netter Kerl sein musste. War er aber nicht. Lila kaufte freitags auf dem Ostendmarkt ein, und zwar immer an einem Stand mit Gemüse aus kontrolliertem Anbau, Antonio ging bei Aldi Dosen und verpackungsintensive Fertiggerichte einholen. Lila hatte eine Stauballergie und musste regelmäßig saugen, eine Staubmaske von Obi über der empfindsamen Nase, während Tonio beim Verlassen seines seit Monaten nicht gesaugten Zimmers Staubflusen in der Wohnung verteilte, die an seinen Filzpantoffeln hängengeblieben waren. Das längste Gespräch, das sie je geführt hatten, war bei Tonios Vorstellung gewesen. Blöderweise hatte Lila versäumt, ihn nach seinem Musikgeschmack zu fragen. Wenn er nun nach Hause kam, verschwand er in seinem Zimmer, hörte Xavier Naidoo, immer die gleiche CD, und schmetterte lauthals mit. Auch jetzt war nicht zu überhören, dass ein Lied seine Lippen nur verließ, damit eine ziemlich bedauernswerte, vermutlich nicht anwesende Sie Liebe empfing. Arme Lila, wie hielt sie das nur aus? Vielleicht sollte man dem Kerl wenigstens mal eine neue CD schenken, damit er Lila endlich mit einem neuen Song quälen konnte?
Lila konnte es sich leider nicht erlauben, Tonio rauszuwerfen. Sie wohnte in einem der kleinen Häuschen in der Pfeiffer’schen Siedlung in der Neuffenstraße. Die Straße sah ein bisschen aus wie »Liebling, ich hab Marie-Lisas Puppenhäuschen vergrößert«. Die Häuser der ehemaligen Arbeitersiedlung waren aus Backstein in verschiedenen Ocker-, Rot- und Brauntönen, und vorne hatten sie identische Minivorgärtchen mit Hecken drum herum. Die Straße war nur ein paar Ecken vom hässlichen Ostendplatz entfernt, der schon seit Jahren den Wettbewerb »Wer hat in Stuttgart die meisten Dönerbuden auf den wenigsten Quadratmetern« gewann. Wohnungstechnisch gesehen war das efeuumrankte Häuschen mit dem hübschen Ziergiebel ein Sechser im Lotto. Bei schönem Wetter saßen wir in dem schnuckligen kleinen Vorgärtchen und tranken Kaffee. Viel zum Reden kam man da aber nicht, weil ständig jemand vorbeispaziert kam, den man grüßen musste.
Wenigstens einmal hatte sich Lilas großes Herz ausgezahlt. Sie hatte einer alten Dame vom Ostend-Wochenmarkt die Taschen pfadfindermäßig nach Hause getragen. Die suchte gerade einen Mieter, weil sie zu ihrer Tochter nach Göppingen ziehen wollte. Davon ahnte Lila natürlich nichts, aber als die alte Dame ihr das Häuschen anbot, zögerte sie nicht lange, ihre Wohnung im
Raitelsberg
zu kündigen, auch wenn die Miete für ihr Sozpäd-Gehalt eigentlich zu hoch war. Sie brauchte also Tonios Beitrag.
Der Kaffee war durchgelaufen und ich füllte eine hellblaue und eine rotgepunktete Tasse damit. Im Kühlschrank fand ich einen Ja-Halbliter-Tetrapak. Offensichtlich steckte Tonio Lila an. Die hatte früher nur Milch in Flaschen gekauft. Ich kippte die Milch in die hellblaue Tasse. Oder das, was ich dafür hielt. Angewidert starrte ich auf das passierte Tomatenhäufchen, das wie eine untergehende Insel langsam gen Tassengrund abtauchte. In diesem Augenblick kam Lila in die Küche. Ich streckte ihr die rotgepunktete Tasse hin.
»Hier, für dich. Ich fürchte, ich muss nochmal Kaffee machen.« Ich kippte den Tomatenkaffee in den Ausguss. Lila grinste und füllte Chips aus dem Bioladen in eine Tonschüssel.
»Wie war’s bei deiner family?«
Ich winkte ab. »No comment.«
Als die zweite Runde Kaffee endlich fertig war, fläzten wir uns auf das Futonsofa vor der Kiste. Suffragette machte es sich auf Lilas Beinen gemütlich.
»Was gucken wir denn nun –
Tatort
oder
Rosamunde Pilcher?
«
Lila schob sich eine ordentliche Handvoll Chips in den Mund und wackelte unschlüssig mit dem Kopf, während sie laut krachend auf den Chips herum mümmelte.
»Tatort mit Bienzle, da kann ich ja gleich aus dem Fenster gucken«, sagte sie. »Andererseits – Rosamunde Pilcher, die ultimative Provokation für jeden Hartz-Vier-Empfänger, kann man eigentlich auch nicht mit gutem Gewissen ansehen.«
»Aber die Landschaftsaufnahmen von Cornwall sind so schön. Wir können ja mal reinschauen, wie die Helden so aussehen – besser als bei Bienzle allemal«, schlug ich vor und Lila war einverstanden.
Der Film begann damit, dass eine junge, traurige, bildhübsche Witwe mit ihrem Sohn aufs Land (Cornwall) zog. Der Sohn sah aus wie der Sohn von Tom Hanks in
Schlaflos in Seattle
. Das Cottage, in dem die beiden fortan wohnten, unterschied sich nicht groß von den Cottages, die bei Rosamunde
Weitere Kostenlose Bücher