Laugenweckle zum Frühstück
sicher, lachte nicht. Ich öffnete.
Leon stand in der Tür. An den Beinen trug er etwas, das mich an die Strumpfhosen erinnerte, die ich als Kind an kalten Tagen unter dem Sonntagskleidchen getragen hatte, und außerdem irgendwelche gepolsterten Hightech-Schuhe, die auch in die
Enterprise
gepasst hätten. Das Höschen lag eng an und verbarg nichts. Ich schluckte. Leon hüpfte vor mir auf und ab wie ein Gummiball.
»Hallo Line. Warum machst du so ein Theater? Ich dachte wir gehen joggen.«
Ich starrte ihn an. »Du wirst doch nicht ernsthaft glauben, dass ich zu den Bekloppten gehöre, die durch den Wald rennen und dann auch noch behaupten, sie würden sich gut dabei fühlen?«
»Nun, ich dachte, wo du doch so dünn bist, machst du sicher viel Sport.«
»Leon, hier liegt ein schrecklicher Irrtum vor. Ich bin nicht dünn, weil ich Sport mache, sondern weil mein Stoffwechsel bei meiner Geburt beschlossen hat, dass ich fünf Salamipizzen, drei Hamburger und eine Portion Pommes Extralarge mit doppeltem Ketchup auf einmal verdrücken kann, ohne am nächsten Tag auch nur ein Gramm mehr auf die Waage zu bringen. Ich bin ein medizinisches Phänomen. Das letzte Mal habe ich Sport gemacht ... lass mich nachdenken ... das muss in der Schule gewesen sein. Wir sollten einen Felgaufschwung machen und es gab Noten dafür. Ich zapple da also am Holmen rum, komme nicht hoch, die Lehrerin schüttelt den Kopf, murmelt irgendwas von hoffnungslosem Fall und gibt mir eine Vier.«
Leon sah etwas enttäuscht aus. Dann hellte sich seine Miene auf. »Na, was nicht ist, kann ja noch werden. Du wirst sehen, dass es Spaß macht und du nach spätestens 15 Minuten Endorphine ausschüttest.«
»Leon, ich weiß nicht, was Endorphine sind, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich sie nicht in den Stuttgarter Wald schütten will, und wahrscheinlich muss man Strafe zahlen, wenn man dabei erwischt wird.«
»Endorphine sind Glückshormone. Laufen macht glücklich.«
»Maultaschen am Samstagabend machen glücklich. Wie kann es glücklich machen, bei 10 Grad minus durch die Kälte zu rennen?«
»Es hat keine 10 Grad minus. Es ist über null und taut. Und ich glaube, dass du einfach feige bist.« Er sah mich herausfordernd an.
»Da hast du vollkommen Recht. Außerdem habe ich nicht mal was anzuziehen.«
Einen Moment lang sagte Leon nichts und grinste nur. Er spürte genau, dass mein Widerstand im Wanken war. Innerlich kämpfte ich einen fürchterlichen Kampf. Ich hatte mir doch vorgenommen, von Leon Abstand zu halten! Aber die Vorstellung, ungehindert auf sein knackiges Hinterteil glotzen zu können, trug entscheidend dazu bei, dass ich schließlich seufzte und sagte: »Okay, gib mir fünf Minuten, um mich umzuziehen.« Leon salutierte und verschwand in seiner Wohnung, wahrscheinlich, um dort irgendwelche lächerlichen Aufwärmübungen zu machen.
Da der Bund meiner Jogginghose so ausgeleiert war, dass sie mir vermutlich schon im Treppenhaus in die Kniekehlen rutschen würde, zog ich zwei Leggins übereinander und die knielangen Strümpfe mit dem Norwegermuster darüber. Ich fand noch ein paar alte Turnschuhe, die ich wohl irgendwann zum Streichen benutzt haben musste, weil sie voller gelber Farbkleckse waren. Regenjacke, Stirnband und Vlieshandschuhe – gar nicht schlecht. Ich lächelte meinem Spiegelbild zu. Es zeigte mir eine Vollblutprofijoggerin.
Ich klingelte bei Leon. Er musterte meinen Aufzug kritisch.
»Du bist viel zu warm angezogen.«
»Leon, es ist Winter, und ich komme nicht aus Hamburch!«
»Wie du meinst.« Leon stürmte im Laufschritt die Treppe hinunter. Mir war nicht klar gewesen, dass die Trainingseinheit schon im Treppenhaus begann, und bis ich hinterherstolperte, hatte Leon schon einen gewaltigen strategischen Vorsprung. Wir polterten durchs Treppenhaus.
Frau Müller-Thurgau riss die Tür auf, als ich auf dem Treppenabsatz zwischen Stock vier und drei war. »Isch was bassiert, brauche mr d’Feierwehr?«, rief sie.
»Nein, nein, alles okay«, antwortete ich atemlos. Prima, schon nach anderthalb Stockwerken bergab ging mir die Puste aus. Zum Glück hatte Frau Müller-Thurgau keine Anspielungen wegen Max gemacht. Ich hatte nicht die Absicht, Leon davon zu erzählen und mich zu blamieren.
Leon wartete vor der Haustür. Kaum war ich bei ihm angekommen, stürmte er durch die winzige Lücke zwischen dem 92er-Bus und einem Mercedes über die Reinsburgstraße, ich folgte ihm auf dem Fuß. Reifen quietschten. Nach ein paar
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