Laugenweckle zum Frühstück
leid.«
Langsam schloss ich die Tür, lehnte mich von innen dagegen und holte tief Luft. Ich zitterte. Nicht nur wegen der Kälte. Ich resümierte: Dass Herr Tellerle mit der Kehrwoche dran war, war mir zum Verhängnis geworden. Ich würde nie mehr sein Aquarium in Pflege nehmen dürfen (das war nicht so schlimm), das ganze Haus wusste nun, dass ich eine Lieblingsfisch-Killerin war (das war schon weniger schön), ich hatte den Ruf weg, zu laut zu sein (Musik), wechselnde Herrenbesuche zu empfangen (das stimmte) und die Kehrwoche nicht ernst zu nehmen (stimmte auch). Das Puzzle, aus dem sich das Feindbild Line Praetorius zusammensetzte, hatte ein weiteres Teilchen bekommen.
Nach ein paar Minuten inneren Meditierens über meinen sozialen Status im Haus fühlten sich meine Füße an, als hätte ich beim Aufstieg auf den Everest schon drei Zehen verloren. Ich nahm eine ausgiebige heiße Dusche. Danach ging es mir bedeutend besser. Es änderte nichts an der Tatsache, dass es immer noch keine Feuertreppe à la
Frühstück bei Tiffany
am Haus gab und ich zur Nahrungsbeschaffung – gähnend leerer Kühlschrank, kein Brot – zweimal durch ein Mietshaus musste, dessen Bewohner wahrscheinlich gerade dabei waren, ein RAF-ähnliches Fahndungsplakat mit meinem Konterfei im Hausflur aufzuhängen. Von den Vorbereitungen für das Staatsbegräbnis für Max ganz zu schweigen.
Vorsichtig öffnete ich die Tür zum Flur. Alles war still. Einen Augenblick überlegte ich, ob ich in Pantoffeln hinunterschleichen sollte, aber es war wärmer geworden und es taute. Das würde den Pantoffeln nicht gut bekommen. Ich schaffte es ohne Zwischenfälle in den ersten Stock. Dort begegnete mir Herr Dobermann, der gerade die Zeitung geholt hatte. »Guten Morgen, Herr Dobermann«, sagte ich artig. Herr Dobermann blickte mich missbilligend an und ignorierte mich. Das Wort »Fischmörderin« stand quer über seine Stirn geschrieben.
Um auf andere Gedanken zu kommen und um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen, verbrachte ich den Großteil des Tages in der Stadtbücherei im Wilhelmspalais. Es war höchste Zeit, dass ich etwas für meinen Wiedereinstieg in den Beruf tat, sonst würde Frau Ohneschuh mit Sanktionen drohen. Außerdem war ich froh, meiner Hausgemeinschaft zu entrinnen.
Ich fand eine halbwegs ruhige freie Ecke im ersten Stock und packte mir einen Berg von Ratgebern auf den Tisch. »Im Lebenslauf klaffende Lücken clever schließen«, »Viel besser als im wirklichen Leben – der perfekte Lebenslauf«, »Der noch perfektere Lebenslauf«, »Die oder keine – wie Frauen Arbeitgeber davon überzeugen, dass sie die Richtige sind«, »O Gott – über 25 und kein Job?« Ich arbeitete mich halbwegs konzentriert durch die Bücher und bastelte an meinem Lebenslauf. Nicht, dass es daran so viel zu basteln gab. Ich war ja kein Diplomatenkind, das fünfmal das Land gewechselt und an vier verschiedenen Eliteunis Mastertitel eingesammelt hatte. Eigentlich war mein Leben bisher ziemlich ereignislos verlaufen. Ich konnte Russisch, das war ein Vorteil. Vielleicht sollte ich mich bei der russischen Mafia als Auftragskillerin bewerben? Aber bei meiner Begabung für technische Geräte würde der Schuss aus der Kalaschnikow bestimmt nach hinten losgehen.
Nach ein paar Stunden machte ich eine Pause und ließ mir im Erdgeschoss einen Kaffee aus dem Automaten. Die Männer, die durch die verschiedensprachigen Zeitungen blätterten, die hier kostenlos auslagen, trugen abgewetzte Jacketts und waren garantiert über 25 und ohne Job. Wahrscheinlich würden sie auch in der Kategorie »Der perfekte Lebenslauf« ziemlich schlecht abschneiden.
Ich holte mir die
Süddeutsche
und überflog die Stellenanzeigen. Es gab ein paar Jobs in Werbeagenturen, die ganz interessant klangen. Ich seufzte. Auch wenn es mir manchmal gehörig auf die Nerven ging, dass man in Stuttgart nicht mal am frühen Sonntagmorgen bei Rot über die Fußgängerampel gehen konnte, ohne dass ein hässlicher kleiner Gnom aus dem Nichts auftauchte und drohend mit dem Zeigefinger wackelte, irgendwie hing ich an dieser seltsamen Stadt.
Ich legte die Zeitung weg und ging zu Fuß nach Hause. Der Lebenslauf musste noch ein bisschen innerlich reifen.
Es klingelte. Ich schlich zur Tür. Herr Tellerle oder Leon? »Wer ist da?« fragte ich und fühlte mich wie eine Fünfjährige, der die Mama gesagt hatte, sie solle ja keinem Fremden die Tür öffnen. Auf der anderen Seite lachte es. Herr Tellerle, so viel war
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