Laugenweckle zum Frühstück
Treppenhaus begegnete mir zum Glück niemand. Das war auch besser so, schließlich war ich noch immer die böse Fischkillerin. Nach dem Frühstück fuhr ich mit dem Fahrrad zur Stadtbücherei. Der Schnee war mittlerweile völlig weggetaut und fast lag so etwas wie Vorfrühling in der Luft. Trügerisch. In den letzten Jahren war der Winter in Stuttgart immer so gewesen. Vier Tage mild, drei Tage kalt. Der Frühling würde noch auf sich warten lassen.
Ich wollte so rasch wie möglich mein Arbeitszeugnis für die Agentur schreiben, solange Rolf sich noch an mich erinnerte, hatte davon aber genauso wenig Ahnung wie vom Lebenslauf. Also stapelte ich erst mal einen Meter Fachliteratur auf den Tisch und holte dann die Bücher, die ich am Vortag benutzt hatte. Ich hätte die Bücher ja auch ausleihen können, aber die kreative, geschäftige Atmosphäre der Stadtbücherei würde mir helfen, konzentriert meine Aufgaben zu erledigen. Dann konnte ich vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause sein und es mir bei einer Tasse heißer Schokolade mit drei Löffeln Zucker bei Nostalgie-TV gemütlich machen und zufrieden auf mein Tagwerk zurückblicken.
Heute Abend wollte ich den Wüstenscheich (hmm, wie war sein Name noch gleich?) anrufen, um auf andere Gedanken zu kommen. Leon würde sich auf sein Pralinchen aus der Schulzeit kaprizieren, sie würde versehentlich die Pille vergessen und ich, die nette Nachbarin, Lebensretterin des Bräutigams, durfte bei der Hochzeit die Trauzeugin sein. Wenig später würde das glückliche Paar uns am schönen, alten, nicht tiefer gelegten Stuttgarter Bahnhof mit spitzenumsäumten Taschentüchern hinterherwinken, wenn der Wüstenscheich und ich in den Orientexpress oder die Transsibirische Eisenbahn einstiegen (ich war mir grade nicht so sicher, welcher Zug in Stuttgart hielt), also sie würden uns hinterherwinken, nachdem wir gemeinsam Bruces/John-Boys/Erics umfangreiche Fotoausrüstung im Gepäckwagen verstaut hatten, weil wir zu einer Reportage in die Innere Mongolei aufbrachen, um dort über einen Volks-stamm zu berichten, den man drei Tage vorher entdeckt hatte. Während Yvettes Bauch langsam anschwoll, würde Leon immer häufiger gedankenverloren aus dem Fenster seiner Killesberg-Villa sehen, die Yvettes Blankeneser Eltern dem glücklichen Paar großzügig zur Hochzeit geschenkt hatten, und wenn Yvette ihn fragte, was denn los sei, würde er zerstreut antworten, »Ach nichts, Schatz«, und sich gleichzeitig ausmalen, wie Eric und ich in einer Jurte ranzigen Buttertee tranken und uns nachts auf den Fellen der mongolischen Büffel liebten ...
Meine Arme schmerzten. Seit mehreren Minuten stand ich mit einem großen Stapel Bücher wie festgefroren zwischen zwei Regalreihen. Wahrscheinlich hatten andere Bibliotheksbesucher, die ans gleiche Regal wollten, panisch die Flucht ergriffen, als sie meinen starren Blick sahen, weil sie befürchteten, die Bekloppte würde aus ihrer Trance erwachen und ihnen in wildem Amoklauf einen großen Brockhaus auf den Schädel hauen, Band Albtraum bis Bandscheibenvorfall.
Schluss mit der Tagträumerei! Arbeit und Erfolg waren angesagt! Ich lud die Bücher auf meinem Tisch ab und sortierte sie dann in zwei Stapel. Links die Lebenslauf-Bücher, rechts die Arbeitszeugnis-Bücher. Der Arbeitszeugnis-Bücherstapel war ein bisschen kleiner. Das fand ich ungerecht. Also suchte ich nach einem weiteren Buch, was eine Weile dauerte, weil es weniger Bücher zu Arbeitszeugnissen als zu Lebensläufen gab. Dann warf ich noch einen Blick auf die Zeitschriften und holte mir eine Brigitte und ein Psychologie heute. Es konnte nicht schaden, sich sanft darauf einzustellen, dass ich mich jetzt konzentrieren würde. Ich blätterte die Brigitte durch, las einen Reisebericht über Wohlfühlferien in Andalusien und machte mich dann an einen komplizierten Artikel in Psychologie heute. »Mentales Coaching – so programmieren Sie Ihre Ziele«, na, das war doch genau richtig! Dieser Artikel würde mir helfen, noch konzentrierter zu arbeiten, noch zielstrebiger meine Ziele – einen neuen Job, einen Mann, der Bücher und die Oper liebte, eine billige neue Wohnung – zu erreichen!
»Sie schnarchen.« Jemand rüttelte an meiner Schulter und ich fuhr verwirrt hoch. »Entschuldigung, ich versuche, eine Bewerbung zu schreiben, aber Sie schnarchen so laut. Da kann ich mich nicht konzentrieren.«
»Oh, tut mir leid!« Ich blickte in das Gesicht einer Frau um die dreißig, Typ Hornbrille und
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