Laugenweckle zum Frühstück
mich ja lächerlich, wenn ich stundenlang an meinem nicht vorhandenen Make-up herumbastelte. Leider brachte mich das andererseits in das Dilemma, an Leons Tisch vorbei zu müssen und mich mit ihm zu unterhalten. Da er allein war, würde es komisch aussehen, ohne ein Wort vorbeizugehen. Einen kurzen Augenblick dachte ich, dass Leon in Cordjacke und Jeans gut aussah für jemanden, der keine Bücher las.
»Hallo Leon, wie geht’s?«, fragte ich matt und ohne jede Überzeugung.
»Danke, gut«, sagte er und schien kein bisschen befangen zu sein von dem seltsamen Auftritt, den er beobachtet hatte. »Warum läufst du so komisch? Geht’s dir nicht gut?«
»Ich bin gestern von einem Sklaventreiber durch den Wald gehetzt worden«, sagte ich spitz.
»Ach, du hast Muskelkater!« Auf Leons Gesicht machte sich das übliche Grinsen breit. »Gegen Muskelkater hilft nur weitertrainieren. Soll ich dich morgen Abend abholen?«
»Nein danke. Meine Schuhe brauchen noch ungefähr drei Wochen, bis sie wieder trocken sind. Und jetzt gehe ich wohl besser zurück an meinen Tisch.«
»Klar«, sagte Leon.
»Ich bin mit meinem alten Chef hier,« sagte ich.
»Klar«, sagte Leon.
»Er schreibt mir ein Zeugnis.« Au Mann, warum hatte ich das Bedürfnis, mich vor Leon zu rechtfertigen?
»Klar«, sagte Leon und grinste noch breiter. Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass er sich über mich amüsierte. In diesem Augenblick tauchte das Sahneschnittchen auf.
»Prima, dass du kommst, Yvette. Dann kann ich dich meiner Nachbarin Line vorstellen. Sie kümmert sich rührend um mich und hat mir auch die
Rosenau
gezeigt.«
»Ist das nicht süß«, sagte Yvette und gab mir eine eiskalte Hand. Ein zarter Parfümduft wehte zu mir herüber und das Haar hatte sie wohl gerade auf dem Klo frisch aufgetürmt. Ihr Blick glitt schonungslos über mein ungeschminktes Gesicht, verweilte auf meinem nicht vorhandenen Busen und blieb dann mit leicht hochgezogenen Augenbrauen auf meinen sportlichen Winterstiefeln hängen, die Streusalzflecken aufwiesen.
»Stell dir vor, Yvette und ich kennen uns noch aus der Grundschule! Wir haben uns seit Jahren nicht gesehen, und dann läuft sie mir in der Kantine über den Weg! Sie arbeitet auch bei Bosch!«
»Ist das nicht süß«, sagte ich. »In der Kantine?«
Leon lachte, als hätte ich einen großartigen Witz gemacht. »Nein, sie ist auch Ingenieurin. Und eine sehr gute noch dazu.« Er strahlte Yvette an und schien nicht zu bemerken, dass sie mich von oben bis unten musterte und dabei im Geiste die Liste ihrer Auftragskiller durchging, während ich mir gerade überlegte, ob es wohl möglich war, Yvettes nächstes Kantinenessen mit Zyankali anzureichern.
In diesem Augenblick stellte der Kellner zwei Gläser Prosecco vor den beiden ab. »Nun, dann will ich eure Wiedersehensfeier nicht länger stören«, sagte ich. »Sicher habt ihr euch viel zu erzählen. Ich muss auch mal zurück an meinen Tisch. Rolf wird schon auf mich warten. Einen schönen Abend noch.« Ich versuchte, mich würdevoll zu entfernen, was mit dem Schlurf-Shuffle-Schritt ziemlich schwierig war. Ich spürte, wie sich Yvettes Augen wie zwei Messer in meinen Rücken bohrten.
Vor Rolf standen ein frisches Glas Wein und geschmälzte Maultaschen. »Da bist du ja endlich. Ich habe schon mal angefangen. Die Maultaschen werden kalt. Deinen Teller hat der Kellner warmgestellt.«
Ich holte tief Luft. »Hör zu, Rolf. Du hörst jetzt auf, mich anzubaggern, und dafür nehme ich dir die Arbeit ab und schreibe mein Zeugnis selber. Wir genießen den Rest des Abends wie es sich für zwei alte Freunde gehört, und fertig.«
Rolf zuckte mit den Schultern. Er wirkte leicht gekränkt. Der Kellner stellte die Maultaschen vor mir ab. Ich sah ihm an, dass er sich das Lachen verkneifen musste, der unverschämte Kerl. Eine Weile aßen wir beide schweigend. Mein Kopf war leer. Irgendein Gesprächsthema musste es doch geben! »Hast du was von Gina gehört?«, fragte ich schließlich. Gina war eine Praktikantin gewesen, mit der sich Rolf besonders gut verstanden hatte.
Wir schafften es irgendwie, den Rest des Abends damit zu verbringen, alte Bürostories aufzuwärmen, ohne allzu persönlich zu werden. Je mehr Wein Rolf trank, desto einsilbiger wurde er. Ich war froh, als er nach der Rechnung verlangte. Auf dem Weg zur Tür schwankte er leicht. Ich zwang mich, nicht in Leons und Yvettes Richtung zu blicken. Es reichte, dass mir Yvettes helles Lachen in regelmäßigen Abständen
Weitere Kostenlose Bücher