Laugenweckle zum Frühstück
übergekocht, als ich aus meiner Tagträumerei erwachte und den Topf vom Herd riss. Ich aß meine Suppe und zog dann das schwarze T-Shirt an, das ich mir am Samstag gekauft hatte. Der kirschrote Lippenstift war eindeutig eine Fehlinvestition, der war viel zu knallig und gab mir ein nuttenhaftes Aussehen. Trotzdem nahm ich mir ein halbes Stündchen Zeit, um ihn aufzulegen.
Der 42er-Bus war eigentlich eine großartige Erfindung, weil er einmal quer durch die Stadt fuhr und am Hauptbahnhof vorbei direkt in den Osten schaukelte. Theoretisch. Der 42er war nämlich ein Schlechtwerdbus. In der Mitte hatte er so ein komisches Zieharmonikagelenk, aber völlig egal, ob man vor oder hinter dem Gelenk saß, wenn man nicht ganz konzentriert nach außen starrte und seinem Magen konstant den Befehl schickte, sich gefälligst zusammenzureißen, hatte man ausgesprochen schlechte Karten.
Von der Bushaltestelle Schwarenbergstraße ging es links, dann ein paar Meter geradeaus und nach rechts über ein paar kommode Staffeln steil den Berg hinauf. Ich kam ziemlich schnell ins Schnaufen. Gut, dass Leon nicht dabei war.
Ganz eindeutig war die Reinsburgstraße nicht die Engeleinflugschneise. In der Reinsburgstraße standen die Mietshäuser dicht an dicht und das einzig Grüne war die Papiertonne im Hinterhof. Hier dagegen wohnte man im Eigentum, in freistehenden, hochherrschaftlichen Häusern von der Größe alter Dorfschulen, an deren Klingeln nur ein Name stand, oder in runden, organischen Häusern, die bestimmt nach Bauplänen aus dem Handbuch
Architektur für Anthroposophen
gebaut worden waren und die bei der nächsten Sintflut auch als Arche Noah taugen würden. Zwischen den Häusern war viel Platz und viel Grün.
Eric M. Hollisters Heim lag am Ende der Schellbergstraße und gehörte zur Sorte der alten Häuser, fiel jedoch etwas aus dem gepflegten Rahmen. Kein Wunder, dass Eric sich als Hedonist bezeichnete. Der Garten war völlig verwildert und hätte eher zu Dornröschen gepasst als zur Uhlandshöhe. In einer Ecke standen ein paar verrostete Gartenstühle verloren um einen moosbewachsenen Brunnen herum. Mir gefiel es. Es hatte etwas Verwunschenes, Romantisches. In meiner Magengegend begann es zu kribbeln.
»Eric M. Hollister, PhotoART« stand auf dem untersten der drei Klingelknöpfe. Ich drückte auf die Klingel. Wenig später stand Eric in der Haustür und winkte. »Das Törchen ist offen, komm einfach rein.« Trotz der winterlichen Kälte trug er ein kurzärmeliges blaues T-Shirt, auf dem »Columbia University« stand. Das mit den schnuckeligen Oberarmmuckis war keine Einbildung gewesen. Er trug sein langes Haar offen, den Bart kurz und stoppelig und die Augen kajalumrandet.
»Welcome on the Holy Hill!«, rief er aus, legte die Handflächen gegeneinander und verbeugte sich.
Ich war ein bisschen unsicher, wie ich reagieren sollte. Ich verspürte ein unglaubliches Bedürfnis, mich an seiner Wange zu reiben, ihm in den Hintern zu kneifen und durch seine Haare zu fahren. Kurz: Das fing schlecht an. Sehr schlecht. Ich zwang meinen Arm robotermäßig in einen rechten Winkel, um Erics Hand zu schütteln. Eric übersah die Hand rein zufällig und streifte meine linke und rechte Wange mit einem Kuss. Er roch nach Moschus. Vor meinem geistigen Auge tauchte die Jurte in der Inneren Mongolei auf. Meine Knie zitterten.
»So good to see you!« Eric M. Hollister lächelte mich an. Er grinste nicht wie Leon. Er lächelte ein weltoffenes Lächeln, irgendwie sophisticated. Eben ein Mann von Welt, nicht so ein Hamburger Provinzler.
Eric nahm mir den Mantel ab und führte mich in ein riesiges Wohnzimmer. Mir blieb der Mund offen stehen. Hier sah es aus, als hätte sich eben die
Schöner Wohnen
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Ethno-Look
verabschiedet. Ich registrierte hohe Decken, Stuck und mannshohe Fenster zum Garten hin. Überall hingen schwarz-weiße Fotos. Fotos von dunkelhäutigen Frauen mit riesigen Ohrringen, von einer lachenden Horde Kinder in Schuluniform, die auf dem Dach eines Busses saßen, von ernst dreinblickenden Menschen mit Wasserbüffeln in einem Reisfeld. Außerdem gab es balinesische Masken, Elefanten aus Elfenbein, Buddha-Statuen und einen kleinen Altar, auf dem Räucherstäbchen brannten. In den Regalen stapelten sich schwere Bildbände. Die Möbel waren dunkel und schwer und sahen antik aus bis auf einen edlen Schreibtisch mit einer Glasplatte, einem Apple-Computer, einem Drucker und Massen an Papierkram, CDs und DVDs. Der Schreibtisch
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