Laugenweckle zum Frühstück
schlecht. Von der blöden Wasserpfeife. Und es war mir saupeinlich, wie ihm da meine halb verdauten Möhren und Nudeln im Gesicht und in den Haaren hingen! Außerdem hätte ich gern mit ihm geknutscht!«
»Wer weiß, was dir erspart geblieben ist. Ich finde, der Typ ist ein ganz schöner Aufschneider. Zeigt dir hunderte von Fotos, das ist doch peinlich!«
Ich wusste, dass es keinen Zweck hatte, mit Lila über Eric zu diskutieren. Sie hatte sich nun mal auf Leon eingeschossen. Leon mit seiner Sandkastenzicke. Trotzdem sah ich es als meine moralische Pflicht an, Eric zu verteidigen.
»Nun, er hat eben auch was zu erzählen! Beinahe ist er mal von Pol Pot erschossen worden!«
»Pol Pot? Line, wie alt ist der Kerl?«
»Pol Pot?«
»Nein. Dein Fotograf, der dem Tod so regelmäßig die Stirn bietet.«
»Keine Ahnung. Mitte dreißig vielleicht.«
»Aha.«
»Was soll das heißen, aha?«
»Aha soll heißen, dass ich mich eine Zeitlang bei ›Kochgeschirr für Kambodscha‹ engagiert habe. Vielleicht solltest du mal die kambodschanische Geschichte nachlesen. Der Kerl ist ein Lügner!«
Nach dem Telefonat raste ich zu meinem Bücherregal. Ich hatte keine Geschichtsbücher, schon gar nicht zu Kambodscha. Wo lag das überhaupt? Aber es gab ja die Allzweck-Bildungswaffe Wikipedia im Internet. Dort stand zu lesen, dass Pol Pot von 1975 bis 1979 regiert hatte. Hmm. Hatte Eric schon im zarten Kindesalter erste Fotoreportagen gemacht? Oder war er viel älter, als er aussah? Oder – war er tatsächlich ein Aufschneider? Ich dachte an den Tee aus Darjeeling. Dann verscheuchte ich die unangenehmen Gedanken. Lila wollte mir ja bloß meinen Wüstenscheich madig machen. Ich würde das Thema ab jetzt vermeiden.
Eric war natürlich nicht wirklich begeistert von meinem Spuckanschlag gewesen. Ich hatte mich tausendmal entschuldigt und dann versucht, einen Witz zu machen, so in etwa, dass nur prominenten Leuten so etwas passierte, siehe Oettinger und die Schwarzwälder Kirschtorten-Attacke, aber Eric hatte nicht gelacht. Stattdessen hatte er etwas säuerlich gesagt, er wolle duschen gehen, worauf ich mich schnell verabschiedete.
Ich hatte keine Ahnung, wie sich unsere diplomatischen Beziehungen weiter entwickeln würden. Beide Männerfreundschaften hatten so viel versprechend begonnen und steckten jetzt in einer Krise. »Loslassen«, sagte ich laut und bestimmt. »Line, du musst jetzt einfach loslassen. Kümmere dich um wichtigere Dinge. Visualisieren und priorisieren.«
Ich nahm ein Blatt Papier und einen Bleistift und machte eine Liste. Listen waren immer hilfreich, wenn das Leben ein einziges Durcheinander war.
Liste der dringend zu erledigenden Dinge:
1. Reinschrift Zeugnis und dann an Rolf mailen. Auf Dringlichkeit hinweisen. Notfalls telefonisch insistieren. Falls keine Reaktion mit Anruf bei Ehefrau auf Schwäbischer Alb zwecks Enthüllung pikanter Details aus Rolfs Liebesleben drohen.
2. Lebenslauf fertig schreiben und beschönigen.
3. Bewerbungsunterlagen kopieren.
4. Salami kaufen.
5. DIN A4-Umschläge kaufen.
6. Bewerbungsmappen kaufen.
7. Briefmarken kaufen.
8. Samstagsausgabe
Stuttgarter Zeitung
kaufen wegen Stellenanzeigen.
9. Initiativbewerbungen an alle Stuttgarter Werbeagenturen schicken.
10. Mit Herrn Tellerle versöhnen.
11. Mit Eric versöhnen.
12. Mit Lila versöhnen (eigentlich schon passiert, braucht aber noch Einsatz einer Flasche Prosecco).
13. Mit Leon versöhnen.
14. Yvette ausschalten.
Das war eine ziemlich lange Liste. Ich schloss die Augen und visualisierte. Nach einer Weile schwebte eine 1, eine 2, eine 4 und eine 10 vorbei. Eine Zeitlang sah es so aus, als ob die 1 sich zur 4 gesellen wollte. Sie trennten sich dann aber ganz schnell wieder voneinander.
Ich öffnete die Augen wieder und umkringelte die vier Punkte. Eindeutig genug Programm für einen Tag.
Als Erstes ging ich in den Blumenladen in der Schwabstraße und kaufte ein Usambara-Veilchen mit einer weißen Papiermanschette. Dann klingelte ich bei Herrn Tellerle. Nach ein paar Minuten riss er die Tür auf und sah mich ungnädig an, ohne zu grüßen. Ich streckte ihm das Usambara-Veilchen entgegen.
»Herr Tellerle, es tut mir leid, dass Max gestorben ist. Wirklich. Ich kann Ihnen versichern, dass es keine Absicht war. Ich würde mich freuen, wenn wir uns wieder vertragen würden.«
Diesen Text hatte ich vorher aufgeschrieben und auswendig gelernt. Es gab Situationen im Leben, da durfte man nichts dem Zufall
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