Laura Leander 01 - Laura und das Geheimniss von Aventerra
Internat, was natürlich Um- und Anbauten notwendig gemacht hatte. Aus den Wohnräumen des Ritters waren Klassenzimmer geworden, in den Kammern der Bediensteten wohnten nun die Schüler, und der Rittersaal diente als Speisesaal. In den Nebengebäuden, den früheren Stallungen, Vorratslagern und Gartenhäuschen, waren die Wohnungen der Lehrer untergebracht. Einzig die Turnhalle im Park war vor einigen Jahren gänzlich neu errichtet worden.
Das weitläufige Gelände rings um die Burg hatte man umgestaltet. Es präsentierte sich nun als prächtige Parklandschaft mit einem Sportplatz, einem Basketball-Court und einem Skateboard-Parcours. In nordöstlicher Richtung schloss sich der Henkerswald, ein verwildertes Waldstück, an den Park an, und im Süden lag ein großer See: der Drudensee.
Als Sayelle in die lang gezogene Auffahrt einbog, knirschte der Kies unter den Reifen des Wagens. Nach einer sanften Linkskurve hielt sie nahe dem Haupteingang an.
Die erste Unterrichtsstunde hatte längst begonnen, deshalb waren weder andere Autos noch Schüler vor dem Internatsgebäude zu sehen. Laura und Lukas hatten das Glück, dass ihr Unterricht erst mit der zweiten Stunde begann.
Wortlos stieg Laura aus und blickte zur Fassade des Hauptgebäudes auf, über die immergrüne Efeuranken kletterten. Gedämpfte Stimmen drangen aus den geschlossenen Fenstern der Unterrichtsräume.
Als Laura die Wagentür zuschlug, hörte sie plötzlich das heisere Knurren eines Hundes in ihrem Rücken. Es schien aus tiefster Kehle zu kommen und klang sehr bedrohlich. Laura zuckte zusammen. Wenn sie etwas auf den Tod nicht ausstehen konnte, dann waren das scharfe Hunde. Als kleines Kind war sie von einer Dogge gebissen worden. Die Wunde war nicht besonders schlimm gewesen, aber seither hatte Laura Angst vor Hunden. Beklommen drehte sie sich um. Doch da war nichts, weit und breit war nicht ein Hund zu sehen.
Nur zwei große Doggen aus Buchsbaum.
Die Buchsbäume standen inmitten der großen Rasenfläche, die sich an die Auffahrt anschloss und sich bis zu einer kleinen Baum- und Gebüschgruppe hinzog. Sie waren die Lieblinge von Albin Ellerking, dem Internatsgärtner. Es verging kaum ein Tag, an dem sich der knubbelige Mann nicht um seine kunstvollen Geschöpfe kümmerte, denen er vor vielen, vielen Jahren Form und Gestalt verliehen hatte. Fast täglich war er mit seiner großen Heckenschere zugange, schnitt da einen Millimeter ab, trimmte dort ein paar Blättchen oder schnippelte an jener Stelle ein überstehendes Zweiglein ab, damit seine Wunderbüsche immer perfekt die Form zweier riesiger Doggen behielten.
Schon viele Besucher des Internats hatten diese grünen Skulpturen bestaunt - und nicht wenige Schüler hatten sich davor erschreckt. Besonders des Nachts oder wenn Nebel um die Sträucher strich, wirkten die Buchsbaumhunde täuschend echt. Einige Ravensteiner waren sogar bereit, Stein und Bein darauf zu schwören, dass diese gelegentlich bellten. Zumindest aber leise knurrten.
Bislang hatte Laura das als puren Unsinn abgetan. Oder vermutet, dass diese Schüler sich vielleicht heimlich in den Henkerswald geschlichen und dort Alkohol getrunken hatten. Das war strengstens verboten - und deshalb ganz besonders verlockend. Weshalb es immer wieder Ravensteiner gab, die im Schutz des Waldes gegen dieses Verbot verstießen. Auf dem Rückweg mussten sie dann an den Buchsbäumen vorbei, und ihre alkoholvernebelten Sinne hatten ihnen da vermutlich einen Streich gespielt.
Aber nun hatte sie das Knurren doch selbst gehört! Oder hatte sie sich das nur eingebildet?
Laura war sich nicht sicher. Erneut spähte sie hinüber zu den grünen Doggen, die aus dem Rasen wuchsen. Sie standen vollkommen reglos da wie - wie Buchsbäume eben. Und zwischen ihnen stand Albin Ellerking. Er hielt seine Heckenschere in der Hand und arbeitete an einem seiner Meisterstücke.
Plötzlich hielt er inne, drehte sich um und blickte zu Laura herüber. Fast hatte es den Anschein, als habe er bemerkt, dass sie ihn beobachtete.
Auf den ersten Blick unterschied er sich kaum von anderen Männern seines Alters - er mochte vielleicht Mitte vierzig sein. Gut: Er hatte eine Knollennase, und seine übergroßen Ohren liefen merkwürdig spitz zu. Und tiefgrüne Augen waren ja auch nicht gerade häufig. Aber dennoch wirkte Albin Ellerking recht harmlos. Er sah aus, als könne er keiner Fliege was zuleide tun. Aber eben nur auf den ersten Blick. Obwohl Laura nicht hätte begründen können,
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