Laura Leander 01 - Laura und das Geheimniss von Aventerra
schnappte nach Luft. »Du ... du bist ein ... ein ...« - verzweifelt suchte sie nach einem passenden Ausdruck - »... du bist ein Blödiot!«, schimpfte sie empört, aber da hatte Lukas sich bereits wieder umgedreht und stieg, leise vor sich hin kichernd, weiter die Treppe hoch. Das Mädchen aber blickte erneut empor zu dem Gesicht des Steinriesen, und da kniff der das linke Auge zusammen und zwinkerte ihm zu!
Neeiin!
Fast hätte Laura laut aufgeschrien. Sie blieb mitten auf der Treppe stehen und starrte, wie vom Blitz getroffen, auf den Kopf der Säule.
Lukas war ihre überraschte Reaktion nicht entgangen. »Was ist denn los?«, fragte er verwundert.
»De ... de ... der Riese«, stammelte seine Schwester und deutete auf die Säule.
Lukas folgte ihrem Blick. »Was soll denn jetzt schon wieder damit sein?«
»Was damit ...?« Laura kam ein schrecklicher Verdacht. »Du hast es also nicht gesehen?«, fragte sie ungläubig.
»Gesehen? Was soll ich denn gesehen haben?«
Einen Moment überlegte Laura, ob sie es ihrem Bruder sagen sollte, aber dann wurde ihr schnell klar, dass das keinen Sinn machte - Lukas würde ihr doch nicht glauben.
Niemand würde ihr glauben!
Außer Kaja vielleicht.
Hastig setzte sie sich in Bewegung und eilte die Treppe hinauf. »Ach, nichts. Komm schon!«, rief sie ihrem Bruder über die Schulter zu. »Oder willst du hier etwa Wurzeln schlagen?«
Die Eingangshalle, in der die Flure zu den Unterrichtsräumen abgingen und Treppen zu den anderen Stockwerken führten, war duster. Die schmalen Fenster ließen nur wenig Licht ein, die Deckenbeleuchtung war nicht eingeschaltet, und natürlich brannten auch die elektrischen Kerzen des großen Weihnachtsbaumes nicht, der mitten in der Halle stand. Attila Morduk, der Hausmeister, war sehr darauf bedacht zu sparen. Deshalb waren die Gänge während der Unterrichtsstunden nicht beleuchtet. Kein Mensch war zu sehen. Als Laura und Lukas die Halle durchquerten, hallten ihre Schritte auf den steinernen Bodenplatten wider, und der beißende Geruch einer Fliesenpolitur stieg ihnen in die Nase.
Genau gegenüber vom Eingangsportal hing ein riesiges Ölgemälde. Es zeigte eine hübsche junge Frau in einem langen weißen Gewand; zu ihren Füßen lag ein mächtiger schwarzer Wolf. Das Gesicht der Frau war blass, und sie sah traurig aus. Furchtbar traurig, so, als gäbe es nichts auf der Welt, was sie erheitern könne. Laura hatte von älteren Schülern gehört, dass die Frau auf dem Gemälde Silva hieß und zu den Zeiten des Grausamen Ritters Ravenstein gelebt hatte. Angeblich hatte sie ein schreckliches Schicksal, was ihre tiefe Traurigkeit erklären würde.
Ohne besondere Absicht warf Laura einen Blick auf das Bild, und da schien es ihr, als starre die junge Frau sie vorwurfsvoll an.
Das Mädchen fuhr zusammen, schüttelte verwirrt den Kopf und blinzelte. Als es dann wieder auf das Gemälde schaute, war alles wieder genauso wie immer.
Wie sollte es auch anders sein?, dachte Laura. Fehlt nur noch, dass der Wolf zu heulen anfängt, dann weiß ich endgültig, dass ich allmählich durchdrehe. Aber das Tier lag unbeweglich wie ein Lämmchen zu den Füßen seiner schönen Herrin und gab nicht einen Laut von sich. Wie sollte es auch?! Laura atmete auf und ging rasch weiter.
Unter dem Gemälde trennten sich die Wege der beiden Geschwister. Lukas trottete nach links zum Jungentrakt, während Laura den Weg nach rechts zum Mädchenflügel einschlug.
Plötzlich fiel Lukas etwas ein. »Einen Moment noch, Laura!«, rief er.
Laura blieb überrascht stehen, und Lukas eilte zu ihr. Er nahm seinen Rucksack ab und begann darin herumzuwühlen. Wenig später brachte er ein in Geschenkpapier gehülltes Päckchen zum Vorschein. Zögernd hielt er es seiner Schwester entgegen.
»Das hätte ich beinahe vergessen«, sagte er. »Mein Geburtstagsgeschenk. Meins nimmst du doch an, oder?«
Laura lächelte und verpasste Lukas einen freundlichen Klaps. »Aber natürlich, du Dummkopf! Du willst doch genauso sehr wie ich, dass Papa zu uns zurückkommt!«
Sie nahm das Geschenk aus seiner Hand. »Vielen Dank! Soll ich es gleich auspacken, oder darf ich das auf meinem Zimmer tun?«
»Auf dem Zimmer ist okay«, sagte Lukas großzügig. »Du weißt ja eh, was es ist!«
Laura nickte. Natürlich wusste sie, was es war: der neue »Harry Potter«. Den hatte sie sich nämlich so sehr gewünscht.
Fast so sehr, wie sie sich wünschte, dass ihr Vater zu ihnen
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