Laura Leander 01 - Laura und das Geheimniss von Aventerra
kleine silberne Perlen.
Paravain tauchte ein Stück Leinen in eine Schüssel mit kaltem Wasser, wrang es sorgfältig aus und kühlte dem Todkranken die Stirn.
»Gut«, hauchte der. »Das tut gut. Könntest du mir etwas zu trinken reichen?«
»Aber natürlich, Herr.« Paravain legte eilig das Tuch zur Seite, nahm eine Karaffe und goss einen irdenen Becher mit Wasser voll. Dann schob er seinen linken Arm unter den Rücken des alten Mannes, richtete ihn vom Lager auf und setzte ihm den Becher an die Lippen.
Der Hüter des Lichts trank mit kleinen Schlucken. Als der Becher zur Hälfte geleert war, setzte er ab. »Danke«, sagte er. »Hab vielen Dank!«
Während Paravain den Becher zur Seite stellte, ließ der Alte sich ermattet in die Kissen sinken. Einen Augenblick herrschte Stille in der Kammer. Nur die Kerzen knisterten leise.
Der Kranke sah den jungen Ritter erschöpft an, doch der wich seinem Blick aus, griff wieder nach dem Tuch und tauchte es ins Wasser. Als er es erneut auf die Stirn seines Herrn legen wollte, griff dieser nach Paravains Arm und hielt ihn fest.
»Warum sprichst du nicht aus, was du auf dem Herzen hast?«, fragte Elysion mit brüchiger Stimme.
Paravain schaute seinen Herrn verwundert an. Trotz der langen Zeit, die er dem Hüter des Lichts nun schon diente, hatte er sich noch nicht daran gewöhnt, dass dieser imstande war, Gedanken zu lesen. Paravain war davon stets aufs Neue überrascht.
»Nun, gut«, sagte der Ritter. »Wenn Ihr es verlangt!« Er nahm all seinen Mut zusammen: »Wer ... wer hat es ihr gesagt?«, fragte er. »Wer hat sie in das große Geheimnis eingeweiht?«
Obwohl der Hüter des Lichts stark geschwächt war, schüttelte er verärgert das Haupt. »Welch törichte Frage!«, antwortete er mit tadelnder Stimme.
Paravain biss sich zerknirscht auf die Lippen.
Doch der Alte beachtete das nicht. »Es war genauso wie seit Anbeginn der Zeiten«, fuhr er fort. »Die Mutter sagt 's dem Sohne, der Vater der Tochter. Genauso ist es auch bei ihr geschehen.«
Mit einem Ruck hob Paravain den Kopf und starrte seinen Herrn an. Große Verwirrung zeigte sich in seinen Blick. »Aber ... ich ... ich verstehe nicht, Herr«, stotterte er. »Das ist doch nicht möglich? Ihr Vater, er ist doch ...«
»Schweig, du Kleinmütiger!«, gebot der Hüter des Lichts seinem Ritter, und ein Anflug von Zorn schwang in seiner Stimme mit. Unter großen Mühen richtete er sich auf. »Schweig, und vertraue auf die Kraft des Lichts!« Dann sank er ermattet auf sein Lager zurück. Er schloss die Augen und war wenig später in einen tiefen Schlaf gesunken.
A ls das Auto über eine Hügelkuppe fuhr, war in der Ferne bereits Burg Ravenstein zu erkennen. Sie war auf der höchsten Erhebung des Landes errichtet worden und deshalb weithin sichtbar. Ravenstein war dennoch keine mächtige Festung und auch kein beeindruckendes Kastell, sondern eher klein und überschaubar. Aber in der hier und da mit Efeu berankten Anlage war alles zu finden, was zu einer richtigen Burg gehört: hohe Türme, eine Zugbrücke und ein Burggraben, schaurige Verliese, dunkle Kasematten und verwinkelte Geheimgänge. Es ging sogar das Gerücht, dass es tief unter der Erde noch eine Folterkammer mit den entsprechenden Instrumenten gab. Aber die hatte bislang noch kein »Ravensteiner«, wie die Internatszöglinge allgemein genannt wurden, zu Gesicht bekommen.
Reimar von Ravenstein, ein berüchtigter Raubritter, hatte die Burg in der ersten Hälfte des zwölften Jahrhunderts erbaut. Sie diente ihm als Wohnsitz und Feste, von der aus er sein Unwesen trieb und die Umgebung in Angst und Schrecken versetzte. Seine Grausamkeit im Umgang mit seinen Feinden war ebenso legendär wie die Skrupellosigkeit, mit der er seine Untertanen behandelte. Die Steuern und Abgaben waren unerträglich hoch. Noch den letzten Heller presste er den armen Leuten ab, die in bitterster Not lebten. Doch jeder, der sich gegen seine Schreckensherrschaft auflehnte, wurde unbarmherzig bestraft. Ein falsches Wort konnte das Leben kosten, und wegen eines missliebigen Blickes waren zahllose Menschen im Kerker gelandet, was einen langen und qualvollen Tod bedeutet hatte.
Kein Wunder also, dass Reimar von Ravenstein der »Grausame Ritter« genannt wurde, auch wenn das in seiner Gegenwart natürlich niemand laut auszusprechen wagte.
Im Laufe der Jahrhunderte war Burg Ravenstein mehrere Male zerstört und wieder aufgebaut worden. Seit 1888 beherbergte die Burg das gleichnamige
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