Laura Leander 01 - Laura und das Geheimniss von Aventerra
warum, hatte der wortkarge Mann etwas an sich, das sie dazu bewog, ihm möglichst aus dem Weg zu gehen.
Sie mochte Albin Ellerking einfach nicht. Und Groll erst recht nicht.
Groll war der rostbraune Kater des Gärtners und in Lauras Augen ebenso unheimlich wie sein Herrchen. Das Viech hatte nur noch ein Auge. Das andere war ihm vor Jahren bei einem Kampf mit einem streitbaren Rivalen um die Gunst einer Katzendame ausgeschlagen worden. Groll wurde von Albin Ellerking nach Strich und Faden verwöhnt und war inzwischen so fett, dass er kaum noch richtig laufen konnte. Meistens hockte das Tier auf dessen Schulter - wie eine Hexen-Katze im Märchen. Jetzt strich Groll jedoch zwischen Albins großen Füßen umher.
Mit undurchdringlichem Blick starrte der Gärtner noch immer herüber zu dem Mädchen. Finster sah er aus, richtig beängstigend.
Hat er was gegen mich?, fragte sich Laura. Oder hab ich vielleicht was falsch gemacht?
Albin Ellerking war nämlich bekannt dafür, dass er jeden Schüler, der gegen die Haus- oder Parkordnung verstieß oder sich sonst etwas zu Schulden kommen ließ, gnadenlos bei der Internatsleitung verpetzte. Glücklicherweise hatte das nur selten Konsequenzen, denn Direktor Aurelius Morgenstern war selbst kein Freund sturer Vorschriften und ließ deshalb in den meisten Fällen Gnade vor Recht ergehen. Aber dennoch konnte keiner der Schüler Albin Ellerking leiden. Er war bei ihnen fast ebenso gefürchtet wie Attila Morduk, der Hausmeister.
Aber der war wieder ein anderer Fall.
»Hör endlich auf zu träumen, Laura, und nimm deinen Rucksack aus dem Wagen!«, sagte Sayelle vorwurfsvoll, die ungeduldig neben der Fahrertür wartete.
Hastig trat Laura zu Lukas an die Heckklappe, um ihren Rucksack zu holen. Sie stieß ihren Bruder an, der sich schon wieder mit seinem Boris-Becker-Wimbledon-Matchball-Ball beschäftigte.
»Hast du es auch gehört?«, fragte sie Lukas leise.
»Was denn?«, wollte er wissen und ließ den Tennisball ploppen.
»Die Hunde«, sagte Laura und schlüpfte in die Tragriemen ihres Backpacks. »Das Knurren der Hunde.«
Lukas schaute sie für einen Moment mitleidig an, bevor er wortlos den Kopf schüttelte.
Die Verabschiedung von ihrer Stiefmutter war kurz und schmerzlos. Eine flüchtige Umarmung und ein »Tschüs, bis nächstes Wochenende!« - und schon stieg Sayelle in den Wagen und fuhr eilig davon.
Laura und Lukas sahen ihr nicht eine Sekunde lang nach. Seite an Seite gingen die Geschwister auf die breite Treppe zu, die zum Eingangsportal führte. Die untersten Stufen wurden von zwei großen Steinskulpturen flankiert: grimmige Löwen mit Adlerflügeln, die den Aufgang zu bewachen schienen. Ein riesiges Vordach spannte sich über die Treppe und schützte sie vor Regen und Schnee. Dieses Vordach wurde von einer dicken steinernen Säule gestützt.
Es war eine besondere Säule. Was immer den unbekannten Steinmetz, der sie vor vielen Jahren geschaffen hatte, dazu bewogen haben mochte - er hatte ihr die Gestalt eines mächtigen Riesen verliehen. Zwar war sein Körper teilweise nur angedeutet und entsprach auch nicht unbedingt menschlichen Proportionen - aber trotzdem stellte die Säule zweifelsfrei einen Giganten dar. Auf das Gesicht mit den freundlichen Augen und dem verschmitzt lächelnden Mund hatte der Steinmetz jedoch besondere Sorgfalt verwandt. Mit seinen warmen Gesichtszügen wirkte der Steinerne Riese trotz seiner imponierenden Größe von über fünf Metern keineswegs bedrohlich. Im Gegenteil: Für Laura hatte er etwas von einem liebenswerten Portier an sich, der die Schüler und Gäste von Burg Ravenstein freundlich willkommen hieß.
Während sie die Stufen emporschritten, wandte sich Laura nachdenklich an ihren Bruder. »Ob jemand dafür Modell gestanden hat?«
»Wofür?«
»Na, für die Säule hier.« Laura deutete auf das Gesicht des Riesen. »Er wirkt so lebendig.«
Lukas schüttelte den Kopf.
»Bildhauer und Steinmetze pflegen meistens nach Skizzen zu arbeiten«, antwortete er in dem leicht herablassenden Oberlehrerton, der Laura so gegen den Strich ging und sie manchmal zur Weißglut bringen konnte. »Ganz im Gegensatz zu Malern, die sich sehr wohl lebender Modelle bedienen, was im vorliegenden Falle aber schlicht unmöglich war.«
Laura blickte ihren Bruder verständnislos an. »Wieso?«
»Ganz einfach, du Spar-Kiu«, sagte Lukas und verzog das Gesicht zu einem breiten Grinsen. »Oder hast du schon mal einen echten Riesen gesehen?«
Laura
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