Laura Leander 02 - Laura und das Siegel der Sieben Monde
bald nicht mehr, dass es gar nicht ihre eigenen sind. Willig und ohne Widerstand folgen sie allem, was wir ihnen einflüstern. Deshalb brauchst du sie auch nicht zu schlagen, Borrok.«
Der Albino schüttelte verwirrt den Kopf. »Aber warum fesselt Ihr sie dann aneinander?«
»Eine reine Vorsichtsmaßnahme. Gelegentlich kommt es vor, dass sich in dem einen oder der anderen doch noch der eigene Wille regt und sie sich uns deshalb widersetzen. Und für diesen Fall – du verstehst?«
Borrok grinste. »Natürlich, Herr!«
»Jetzt aber genug der Plauderei. Wir müssen weiter, wenn wir die Festung noch vor Einbruch der Nacht erreichen wollen.« Gramar spähte zum Himmel, als erwarte er von dort Unheil. »Außerdem verspüre ich nicht die geringste Lust, mich mit den Flugkraken herumzuschlagen, wenn sie in der Dunkelheit zur Jagd ausschwärmen.«
Als Gramar seinem Rappen die Sporen gab, wich der Albino rasch aus und kratzte sich unwillkürlich am Kopf. Meist genügte der bloße Anblick eines Pferdes, dass er Juckreiz verspürte.
Der Anführer der Wunschgaukler grinste nur und lenkte sein Pferd auf die Gruppe der Kinder zu. An ihrer Spitze ging ein Junge mit rotem Haar. Der Wunschgaukler sah ihm tief in die Augen und lächelte den Rotschopf freundlich an, bis dieser sein Lächeln erwiderte, auch wenn es eher freudlos anmutete. Dann beugte er sich zu ihm hinunter und raunte ihm einige Worte ins Ohr, bevor er zurück zu seinen Begleitern sprengte.
Der Rothaarige drehte sich zu seinen Leidensgenossen um. Er sah sie nur an – und schon beschleunigten sie ihren Schritt. Teilnahmslos trotteten sie weiter in südlicher Richtung, wo sich die dunkle Silhouette einer mächtigen Burg am Horizont abzeichnete. Ein riesiger Schwarm schwarzer Vögel kreiste über der Festung, und dunkle Nebel drifteten um die gewaltigen Türme.
L aura war wie gelähmt. Was ging hier vor, verdammt nochmal? Im allerletzten Augenblick löste sie sich aus der Erstarrung. Sie warf sich zur Seite, sodass die gefährlichen Eiszapfen sie allesamt verfehlten, prallte dabei jedoch gegen eine Hauswand. Die Brötchentüte fiel ihr aus der Hand. Während die warmen Semmeln über den Bürgersteig kullerten, galt Lauras Aufmerksamkeit einzig und allein den nächsten Mordgeschossen, die auf sie zuflogen. Obwohl sie auszuweichen versuchte, erwischte eine der Spitzen sie an der Stirn. Das Mädchen spürte einen jähen Schmerz, und als es warm auf ihre Wange tropfte, wusste Laura, dass sie blutete. Doch ihr blieb keine Zeit, die Wunde zu versorgen. Die ganze Straße entlang war nun das helle Klirren zu hören, mit dem sich Eiszapfen von den Hausdächern lösten, um dann mit einem gespenstischen Sirren auf Laura zuzuschwirren. Sie musste sich schleunigst in Sicherheit bringen!
Tief geduckt rannte Laura los. Aber schon nach wenigen Metern rutschte sie auf dem glatten Boden aus und geriet ins Straucheln. Zum Glück, denn dadurch verfehlten die Geschosse ihren Kopf. Einige trafen sie zwar im Rücken, aber der dicke Anorak minderte die Wucht des Aufpralls. Laura schlug der Länge nach hin und schlitterte neben ein parkendes Auto. Als sie den Kopf hob, erblickte sie einen Hauseingang, der Rettung versprach, rund zehn Meter von ihr entfernt. Wenn es ihr gelang, ihn zu erreichen, konnte sie dort Schutz suchen; vielleicht würde man auf ihr Klingeln hin ja sogar öffnen!
Vorsichtig richtete das Mädchen sich auf und wollte zum Eingang eilen. Doch im selben Moment erfüllte erneut ein bedrohliches Sirren die Luft. Blitzschnell duckte Laura sich, und die eisigen Spitzen verfehlten sie diesmal nur um Haaresbreite. Sie schienen nur daraufgewartet zu haben, dass sie sich wieder zeigte – ein völlig absurder Gedanke, schoss es Laura durch den Kopf. Eiszapfen können mich unmöglich wahrnehmen oder auf mich reagieren. Das ist völlig undenkbar. Es musste einen anderen Grund – G enau! Es musste jemanden geben, der sich der Eiszapfen bediente! Nur – wer?
Dicht hinter den Wagen gekauert, spähte Laura umher, konnte jedoch niemanden entdecken. Vorsichtig streckte sie sich am Boden aus und robbte zwischen zwei parkenden Wagen in Richtung Fahrbahn, um die andere Straßenseite besser einsehen zu können – und da endlich entdeckte sie ihn. Dr. Quintus Schwartz trug einen Pistenwachtanorak und hatte sich die Kapuze über den Kopf gezogen, aber Laura erkannte ihn sofort. Kein Zweifel, der Mann, der sich zur Hälfte hinter einer Litfaßsäule verborgen hielt und das Auto im
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