Laura Leander 02 - Laura und das Siegel der Sieben Monde
nicht so glimpflich enden würde.
Unwillkürlich warf sie einen Blick in die Runde, um nach dem Gärtner Ausschau zu halten. Doch von Ellerking war keine Spur zu entdecken. Was seltsam war, denn seit Laura in den Kreis der Wächter aufgenommen worden war, hatte sie stets den Eindruck gehabt, der knollennasige Mann mit den tiefgrünen Augen und den spitzen Ohren spioniere ihr stets und überall nach.
Nebeneinander schritten die Geschwister durch den Torbogen, der in den Innenhof der Burg führte. Während sie die gepflasterte Freifläche überquerten und auf die ausladende Treppe zuschritten, die zum Hauptportal führte, klang ihnen von allen Seiten ein freundliches Hallo entgegen. Laura grüßte zurück, ging zwischen den geflügelten Löwen hindurch und stieg die Stufen empor. Dabei warf sie einen Blick auf die majestätische Säule, die das Dach über der Treppe stützte. Sie war mehr als fünf Meter hoch und in Form eines Riesen gestaltet. Dass er Portak hieß und zum Leben erweckt werden konnte, wusste außer Laura kaum ein Ravensteiner. Es war dem steinernen Giganten auch nicht anzusehen, dass er ein aufregendes Geheimnis barg. Scheinbar teilnahmslos starrte er mit verschmitztem Lächeln in eine unbestimmte Ferne. Laura war etwas enttäuscht, dass er ihr nicht freundlich zuzwinkerte, wie er es am Morgen ihres dreizehnten Geburtstages getan hatte. Damals hatte es ihr natürlich einen Riesenschreck versetzt, und sie hatte zunächst geglaubt, dass sie einer Sinnestäuschung erlegen war. Doch bald schon war sie eines Besseren belehrt worden. Zu ihrem Glück, denn ohne die Hilfe des reimenden Portak hätte sie die aufregende Suche nach dem Kelch der Erleuchtung nicht lebend überstanden. Und Kaja und Lukas natürlich auch nicht.
In der Eingangshalle wimmelte es von Ravensteinern. Auch Franziska Turini, Magda Schneider und Caro Thiele, allesamt Klassenkameradinnen von Laura, befanden sich darunter. Es herrschte ein vielschichtiges Stimmengewirr wie vor den Abfertigungsschaltern eines Flughafens. Die Schülerinnen und Schüler standen in Gruppen zusammen und tauschten ihre mehr oder weniger aufregenden Ferienerlebnisse aus.
Lauras erster Blick galt jedoch nicht den Mitschülern, sondern dem großen Ölgemälde an der dem Eingang gegenüberliegenden Wand. Sie war erleichtert, dass es unverändert dahing. Silva, die hübsche bleiche Frau im weißen Gewand, stand auf ihrer Waldwiese und sah Laura todtraurig an, während der große schwarze Wolf reglos zu ihren Füßen ruhte.
E in G lück!
Laura erinnerte sich schließlich nur zu gut daran, dass in den aufregenden Tagen vor der letzten Wintersonnenwende sich jede Veränderung auf dem Bild als schlechtes Omen erwiesen hatte. Danach war es jedes Mal zu einem gefährlichen Zwischenfall mit den Dunklen oder ihren Geschöpfen gekommen. Und darauf konnte sie sehr gut verzichten.
Der lange Flur im dritten Stock war menschenleer. Laura war noch ein gutes Stück von ihrem Zimmer entfernt, als ihr bereits laute Musik entgegenschallte. Sie erkannte den Titel sofort: Robbie Williams schmachtete ihr sein » F eel« ins Ohr. Wobei – so übel fand sie den Titel gar nicht. Der schöne Robbie hatte schon viel schlechtere Songs gesungen.
Als sie die Tür öffnete, musste sie unwillkürlich grinsen: wie nicht anders zu erwarten war, ging Kaja Löwenstein ihren Lieblingsbeschäftigungen nach. Lesen und Schokolademampfen. Das pummelige Mädchen mit den roten Korkenzieherlocken saß mit angezogenen Knien auf dem Bett, den Rücken gegen die Wand mit den Walpostern gelehnt, und hielt ein Buch in der einen Hand, während es mit der anderen Schokostücke in sich hineinstopfte. Dabei hatte Kaja doch bestimmt erst vor einer halben Stunde gefrühstückt. Das Radio war so laut gestellt, dass sie selbst das Zufallen der Tür überhörte.
»Hallo, Kaja!«, rief Laura.
Die Freundin reagierte nicht.
»Haalloo!« Laura musste fast schreien, um Robbies zartschmelzenden Gesang zu übertönen. »Ist jemand zu Hause?«
Da kam Leben in das Pummelchen. Kaja ließ das Buch sinken und starrte Laura verwundert an. Doch nach einer Schrecksekunde legte sich ein strahlendes Lächeln auf ihr Gesicht.
»Hey, Laura!«, rief sie erleichtert. Mit einer für sie erstaunlichen Geschwindigkeit wälzte sie sich vom Bett und drehte die Musik leiser. Dann stürmte sie der Freundin entgegen, schloss sie in die Arme und umklammerte sie wie eine Ertrinkende den rettenden Ring. »Oh, Laura! Ich bin ja sooo froh, dich
Weitere Kostenlose Bücher