Laura Leander 02 - Laura und das Siegel der Sieben Monde
den Kindern zu zeigen. Doch Laura wusste auch so, was zwischen ihr und dem fast zwanzig Jahre älteren Mann ablief. Und das machte sie traurig. Sie konnte es einfach nicht ertragen, dass ihr Vater von Sayelle so schmählich hintergangen wurde.
Während der BMW über die langgestreckte Auffahrt rollte, drehte die junge Frau sich noch mal nach den Geschwistern um. »Freut ihr euch auch schon auf zu Hause?«, fragte sie mit aufgesetztem Lächeln.
Die Antwort von Lukas war nicht zu verstehen, und auch Laura nuschelte nur ein wenig begeistertes »Ja, ja, natürlich« vor sich hin. Dabei freute sie sich wirklich auf ihr vertrautes Zimmer. Vor allem aber freute sie sich auf das Internat und all die Freunde und Vertrauten, die sie schon bald wiedersehen würde: Kaja Löwenstein, Professor Morgenstern, Mary Morgain, Percy Valiant, Attila Morduk – und wie sie sonst noch alle hießen.
Als sie endlich losfuhren, winkte Kevin ihnen nach. Laura und Lukas erwiderten seinen Abschiedsgruß, bis er ihren Blicken entschwunden war. Laura hatte plötzlich das sichere Gefühl, dass sie ihn schon sehr bald wiedersehen würde. Mit einem Male spürte sie ein angenehmes Kribbeln im Bauch, und auch der dunkle Himmel schien sich etwas aufzuhellen.
Als am Tage darauf die Silhouette von Burg Ravenstein vor Laura aufragte, breitete sich das warme Gefühl von Geborgenheit in ihr aus. Es war ihr, als komme sie jetzt erst richtig nach Hause. Sie konnte es kaum erwarten, bis die Stiefmutter Lukas und sie endlich vor dem Internat absetzte und sich eilig verabschiedete.
Während der Mercedes-Kombi von Sayelle knirschend über die kiesbedeckte Einfahrt davonrollte, blieb Laura stehen und blickte sich um. Zahlreiche andere Ravensteiner, die gleich ihnen aus den Weihnachtsferien zurückkehrten, strebten auf den Eingang der vertrauten Burg zu. Unter ihnen entdeckte sie auch Philipp Boddin aus ihrer Klasse. Mr. Cool, wie er nur genannt wurde, hatte seine Gucci-Sonnenbrille auf der Nase und trug einen nagelneuen, superschicken Wintermantel, der sicherlich von einem Edelschneider stammte. Lautstark diskutierte er mit Alexander Haase, der seinen Bayernfanschal um den Hals geschlungen hatte, die neuesten Fußballergebnisse.
Natürlich hatte sich nichts verändert. Alles sah noch genauso aus wie vor den Ferien. Die drei Stockwerke umfassenden mittelalterlichen Burggebäude, deren dicke Mauern teilweise von Efeuranken überwuchert waren; der hoch aufragende Ostturm mit der zinnenbewehrten Aussichtsplattform; die moderne Turnhalle, die zur rechten Hand im weitläufigen Park lag; der Sportplatz, der Basketball-Court und der Skateboard-Parcours. Auch das mächtige Standbild des Grausamen Ritters schimmerte wie immer Furcht einflößend durch die Büsche und Bäume des Parks. Dabei stand das Monument aus grauem Granit, mit dem sich Reimar von Ravenstein, der Erbauer und Namensgeber der Burg, noch zu seinen Lebzeiten selbst ein Denkmal gesetzt hatte, ein gutes Stück vom Hauptgebäude entfernt. Doch selbst aus der Ferne löste der Anblick des steinernen Ritters kalte Schauer bei Laura aus. Die Erinnerung an die schrecklichen Begegnungen mit dem mordlüsternen Reimar in den Tagen vor Weihnachten stieg sofort wieder in ihr auf und lähmte für einen Moment ihr Herz.
Laura atmete tief durch. Es ist vorbei, schalt sie sich im Stillen, um sich sogleich selbst Mut zu machen: Du hast seine Angriffe abgewehrt und brauchst keine Angst mehr vor ihm zu haben! Aber sie hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, als ihr auch schon aufging, dass sie sich selbst täuschte. Nichts war vorbei, denn ihre große Aufgabe war längst noch nicht erfüllt. Sie würde auch weiterhin vor den Dunkeln auf der Hut sein müssen und vor dem Grausamen Ritter zittern. Und höchstwahrscheinlich würde ihr auch eine weitere Begegnung mit den unheimlichen Buchsbaumhunden nicht erspart bleiben.
Laura drehte den Kopf und warf einen prüfenden Blick zu den großen Büschen, die inmitten der Freifläche standen, die an die Auffahrt angrenzte. Albin Ellerking, der Internatsgärtner, hatte sie vor vielen Jahren kunstvoll in die Form riesiger Doggen geschnitten. Wie viele andere hatte auch Laura die grünen Skulpturen bewundert – bis diese eines Nachts plötzlich zum Leben erwacht waren und Jagd auf sie und ihre Freunde gemacht hatten. Nur mit knapper Not waren sie den reißenden Bestien entkommen, und das Mädchen fühlte, dass die nächste Begegnung mit den Monsterdoggen wahrscheinlich
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