Laura Leander 02 - Laura und das Siegel der Sieben Monde
Werke schreitet, erscheint mir eine kleine Folter angebracht.« Voller Hohn wandte sich der Grausame Ritter dem Todeskandidaten zu, der die Tränen nicht länger zurückhalten konnte. »Wir wollen es doch nicht versäumen, dieser erbärmlichen Kreatur das Ableben zu einem unvergesslichen Erlebnis zu machen, auch wenn der Kerl das weiß Gott nicht verdient hat.«
Reimars Spießgesellen wieherten wie wild über den grausamen Scherz, während der Henker den beiden Schergen, die den Bildhauer festhielten, einen Wink gab. Schon wollten sie den Unglücklichen fortschleppen, als der Herr von Ravenstein ihnen Einhalt gebot und dem Scharfrichter einen neuen Auftrag erteilte. »Und noch was – sorg er doch dafür, dass unsere schöne Gefangene Zeuge seines Handwerks wird. Damit sie weiß, welches Schicksal ihr blüht, wenn sie weiterhin so störrisch bleibt!«
U nsere schöne G efangene – wen konnte Reimar bloß meinen? Silva vielleicht? Laura warf Percy einen fragenden Blick zu. Der schien ihre Gedanken zu erahnen, denn er zuckte nur mit den Schultern und verzog das Gesicht.
Während der Henker sich mit seinem Opfer und dessen Bewachern entfernte, wandte der Grausame Ritter sich den beiden Traumreisenden zu, die den erbärmlichen Auftrag ohnmächtig mit anhören mussten. »Meldet Euch bei den Mägden, damit sie Euch eine Kammer zuweisen. Ich erwarte Euch dann zum Bankett. Und seid pünktlich, denn sonst –« Reimar grinste viel sagend und fuhr sich mit der Daumenspitze quer über die Kehle.
Als Laura durch den Torbogen in den Innenhof der Burganlage trat, fühlte sie sich fast wie zu Hause. Natürlich hatte sich im Laufe der Jahrhunderte so manches verändert – wie die Fenster, Türen und der Verputz der Mauern. Auch fehlten die Zierpflanzen und Sträucher, die das weitläufige Gelände inzwischen begrünten. Die einzelnen Gebäudeteile jedoch waren genauso angeordnet wie im Internat. Sogar die einladende Freitreppe, die zum Eingang emporführte, war bereits vorhanden, mitsamt den geflügelten Löwenskulpturen, welche die untersten Stufen flankierten. Und das Vordach wurde natürlich von dem Steinernen Riesen getragen – von wem auch sonst?
Sie folgte Percy, der gemessenen Schrittes auf die Treppe zuging – schließlich wollten sie keinen unnötigen Verdacht erregen durch unangebrachte Hast. Während sie bedächtig die Stufen nahmen, richtete Laura dankbar den Blick auf Portak, denn der Steingigant hatte ihr bei ihrem großen Abenteuer schon so oft beigestanden, und lächelte ihn freundlich an. Der reimende Koloss beachtete sie jedoch gar nicht, er starrte nur stur in die Ferne. Der bittere Geschmack von Enttäuschung stieg in Laura auf – schließlich wusste sie, dass der Säulenriese nicht nur um Mitternacht auf wundersame Weise lebendig werden, sondern dem Wissenden auch tagsüber zeigen konnte, welche geheimen Kräfte hinter seiner Oberfläche verborgen waren. Warum also blinzelte er ihr nicht zur Begrüßung zu wie an ihrem dreizehnten Geburtstag, als er sich ihr zum ersten Mal zu erkennen gegeben hatte?
Da fiel Laura ein, dass Reimund Portak sie ja noch gar nicht kennen konnte. Ihre erste Begegnung lag doch noch weit in der Zukunft, und es würden noch viele hundert Jahre vergehen, bevor der Steinerne Riese erfahren würde, dass auch sie zum Kreis der Wächter gehörte.
In der Eingangshalle blickte Laura auf die dem Portal gegenüberliegende Wand – und fuhr bestürzt zusammen. Was nicht daran lag, dass das Bild mit Silva und dem schwarzen Wolf nicht dort hing. Damit hatte sie schließlich gerechnet. Was sie in Schrecken versetzt hatte, war ein grässliches Monster, das ihr statt des Gemäldes von einem Wandteppich entgegenstarrte, der fast vom Boden bis zur Decke reichte – offensichtlich der Lemur, mit dem Laura bereits Bekanntschaft geschlossen hatte. Denn das Haupt des grobschlächtigen Ungeheuers wies eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem Fratzenkopf auf, der den Gang in die Tiefe der Alten Gruft bewachte und Kaja und sie bei ihrem ersten Eindringen in panische Angst versetzt hatte. Seine Gestalt war nicht minder Furcht erregend; sie erinnerte Laura an den Knüppel schwingenden Höhlentroll, der in den Minen von Moria über Frodo und seine Gefährten hergefallen war und ihnen beinahe den Garaus gemacht hatte. Er besaß mächtige Klauen, und sein kahler Schwanz war so lang, dass er sich wie eine Schlange um das linke seiner zotteligen Beine gewunden hatte. Beklommen stieß das Mädchen Percy an
Weitere Kostenlose Bücher