Lauras Bildnis
Lauras, die sich unter dem Applaus des Publikums einige dieser Blätter aus den Haaren zupfen mußte.
Die so Geehrte war umringt von Männern, die ihr gratulierten. Knoop hakte sie unter und zog sie zu einem langen Tisch. Ich bemerkte gar nicht, wie seltsam ich mich benahm. Ich verschaffte mir, genau wie Dr. Labisch, Platz mit rücksichtslosen Bewegungen meiner Ellbogen und folgte den beiden. Dann setzte ich mich neben Laura an den Tisch, wobei ich ebenso unhöflich vorging. Ich schob meinen Arm zwischen Laura und ihren Nachbarn und quetschte mich in die dabei entstandene Lücke.
Diesmal trennte uns kein Tischbein. Die Enge der Sitzordnung ließ uns gar keine andere Wahl, als uns zu berühren. Wenn Laura sich bewegte, bewegte ich mich mit. Wie bei Getreidehalmen in einem Feld.
Sie wissen aus eigener Erfahrung, Madame und Monsieur, daß der unvermittelte körperliche Kontakt mit einer fremden Person sehr unterschiedlich empfunden wird. Die Gefühlsskala reicht von Ekel bis zu höchster Anziehungskraft. Meistens hat man es in den ersten Momenten mit einer Mischung ambivalenter Reaktionen zu tun. Die Seele weiß noch nicht, ob sie positiv oder negativ reagieren soll. Die Folge dieser Irritation ist ein dumpfes Gefühl in Haut und Muskeln. Eine Überempfindlichkeit, die mit einer oberflächlichen Betäubung der Sinne einhergeht.
Ich erlebte die erste Berührung zwischen Laura und mir vollkommen anders. Tauchen Sie eine Hand in körperwarmes Wasser. Verstehen Sie, was ich meine? Dieses Vertrautsein gleichtemperierter Medien. Die Haut spürt ihre Grenze nicht. Sie weiß nicht, ob sie im Wasser zerfließt oder das Wasser in sie eindringt. So ähnlich war es zwischen uns. Es war mehr als geschwisterliche Vertrautheit. Es erinnerte an die blinde Wärme zwischen eng aneinander schlafenden Tieren.
Laura lachte viel, fand alles nett, ging auf die Scherze der Männer ein, reagierte auf Anzüglichkeiten mit derbem Gelächter. Knoop überbot sich in bizarren Einfällen und Wortspielen. Mich würdigte er keines Blickes.
Diesmal verhielt ich mich still, ja ich versuchte, in mein Schweigen eine Art Botschaft zu legen: ‘Leeres Geschwätz dies alles, Laura, du bist viel zu schade dafür.’
Laura beachtete mich nicht. Bildete ich mir nur ein, daß sie manchmal den Druck verstärkte, mit dem sich unsere Schenkel berührten?
Als es leerer wurde, setzte ich mich ihr gegenüber. Ich wollte sie endlich in Ruhe betrachten. Dabei machte ich eine überraschende Entdeckung. Sie, die, wie ich inzwischen wußte, vierunddreißig Jahre alt war und die jeder um mindestens zehn Jahre jünger schätzte, hatte ein uraltes Gesicht. Es besaß eine Jugend, die nicht von unserer Zeit war. Warum trug sie kein Seidenkleid? Kein feingewobenes Haarnetz? Ich sah die winzigen Unreinheiten ihrer Haut. Sie war keine perfekte Schönheit, aber sie hatte die gleiche Anziehungskraft wie das Porträt der Gentildonna. Es war nicht die Ähnlichkeit allein. Es war der Stil, es war die Raffinesse, mit der ein großer Künstler mit toten Materialien wirkliches Leben vorzutäuschen vermag.
Oft lebt ein Gemälde gerade von den kleinen Schönheitsfehlern der Modelle, weil sie den Künstler gezwungen haben, nicht einem leblosen Harmonieideal zu erliegen, sondern fehlerhafte Einzelheiten in einen schönen und spannungsreichen Zusammenhang zu bringen, in dem der Tod besiegt scheint und die Zeit sich darauf beschränkt, den Firnis des Bildes zu verdunkeln.
Laura hatte ein solches Gesicht. Es steckte voller Widersprüche. Sinnlichkeit und Spott, Nachdenklichkeit und Naivität, Grüblerisches und Verspieltes lagen im Streit und versöhnten sich wieder. Besonders um Mund und Augen fanden diese familiären Auseinandersetzungen statt. Ich sah auch, daß ihr wirkliches Alter, das sich in feinsten Runzeln und Unebenheiten der Haut zeigte, nichts anderes war als die natürliche Patina eines Mädchenkopfes, das Alters-Craquelé, das dem Motiv eines jungen Gesichtes den eigentümlichen Reiz verleiht.
Ich begann, auf Laura einzureden. Ich bot alles auf, ihr Interesse zu erregen. Erzählte von meiner am Meer verbrachten Jugend, beschwor die Weiten dieser Landschaft, Himmel wie schräg gestellte Leinwände, titanweiße Wolken, das Watt als ein mit dem Schwamm benetztes Papier, das so die Wasserfarben stärker aufnimmt und tiefer leuchten läßt.
Laura sah mich an. Ihre Augen ruhten auf mir, während ich redete. Sie glichen kleinen, grauen Nebelflecken in der Leere dieses
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