Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Lauras Bildnis

Titel: Lauras Bildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Boetius
Vom Netzwerk:
gelungenes Porträt noch nachträglich zu verbessern sucht, indem er durch Zwischentöne die Kontraste schwächt.
    ‘Wissen Sie’, sagte Hawelka, ‘die Menschen fürchten das Wasser so, weil es sie insgeheim an das Zimmer erinnert, in dem sie die ersten neun Monate ihres Lebens verbracht haben. Wenn es regnet, rennen sie alle davon, als ahnten sie plötzlich, daß sie besser gar nicht erst auf die Welt gekommen wären.’
    Zu meiner Überraschung tauchte Dr. Labisch auf. Ihn hätte ich auf einem solchen Fest am allerwenigsten erwartet. Während ich mit Hawelka zum Ausgang ging, gesellte sich Dr. Labisch zu uns. Er lief neben mir her, und so befand ich mich zwischen zwei Misanthropen, einem dicken, lustbetonten und einem dünnen, asketischen. Die beiden kannten sich offenbar. Sie unterhielten sich durch mich hindurch über das Thema Liebe. Beide sprachen sie diesem Phänomen jeglichen Sinn ab. Hawelka bestritt die These, daß Liebe durch den Magen geht. Sie ginge weit an ihm vorbei. Dr. Labisch behauptete, es gebe nichts Liebesunfähigeres als die Liebe. Ich aber sah mich um und stellte fest, daß Laura verschwunden war.
    Auf der Straße trennten wir uns. Ich wurde das Gefühl nicht los, daß beide mich mitleidig betrachteten.«
    Francesco unterbrach seine Rede und mühte sich, in den in der Dämmerung blaß leuchtenden Gesichtern seiner beiden Zuhörer zu lesen. War es nicht auch jetzt so, daß sie ihn mitleidig betrachteten? Er begann, sich darüber zu ärgern, daß alles, was er erzählte, beinahe wie ein Geständnis klang. Nein, er wollte diesen Eindruck nicht aufkommen lassen. Es war schön, von seiner Liebe zu reden, auch wenn ihre Größe mit Illusionen erkauft worden war.
    »Auf dem Weg nach Hause ging ich kurz in meine Werkstatt. Ich setzte mich vor das Bild und betrachtete die Gentildonna. Fast kam es mir vor, als habe sich das Bild verändert. In der Spannung der Lippen war ein Lächeln angedeutet, das mir vorher nicht aufgefallen war. Ein maliziöses Lächeln, als wollte es dem Betrachter sagen: ‘Armer Kerl, du kannst zwar nichts dafür, aber du benimmst dich wie ein wahrer Trottel.’ Hatte es nicht recht? Benahm ich mich nicht wie ein Idiot?
    Ich nahm das Bild von der Staffelei und legte es auf einen Arbeitstisch. Montag würde ich ernsthaft mit der Restaurierung anfangen. Ich beugte mich über die Gentildonna. Dann näherte ich mein Gesicht dem ihren, bis ihre Züge verschwammen. Meine Lippen berührten den gemalten Mund. Ich schloß die Augen und verharrte in dieser unbequemen Stellung, bis meine Nackenmuskeln schmerzten.
    Wie immer, wenn man die Augen schließt, schärft sich der Geruchssinn. Ich roch die vertrauten Substanzen, die Malmittel, Firnisse, das Azeton. Und obwohl es penetrante Gerüche sind, glaubte ich, unter ihnen einen neuen Duft auszumachen. Einen zarten Duft nach Lavendelöl, wie es schon seit Jahrhunderten in Südfrankreich hergestellt wird.
    Von meiner Werkstatt ging ich nicht direkt zu meiner Wohnung. Bis zum Fluß waren es nur wenige Schritte. Ich rannte sie fast, als würde ich verfolgt oder vor etwas davonlaufen. Auf der Brücke machte ich halt. Es ist eine von bedeutenden Künstlern immer wieder gemalte Eisenkonstruktion. Die tiefstehende Sonne vergoldete das trübe, schmutzige Wasser des Flusses. Eine hauchdünne Auflage, aber sie genügte vollkommen, dem Bild einen kostbaren Glanz zu geben. Auch die Silhouette der Stadt überraschte mich aus dieser Perspektive und in dieser Beleuchtung durch ihre künstliche Schönheit. Sie wirkte wie aus einem Film, dessen Hintergrundkulisse von einem geschickten Maler gestaltet worden war.
    So viel wußte ich von Hawelka bereits über Laura: Sie war erst vor kurzem vom anderen Ende der Welt gekommen. Seit vielen Jahren lebte sie in Australien. Ich glaubte auch, bemerkt zu haben, daß sie mit einem leichten Akzent sprach.
    Ich ging zu meiner Wohnung zurück, diesmal übertrieben langsam, als gälte es, eine Steigung zu überwinden. Ich dachte wenig, während ich versuchte, beim Gehen die Schattenzonen zu meiden, die die untergehende Sonne auf das Straßenpflaster warf. Nur ein Satz ist mir in Erinnerung geblieben: ‘Glücklichsein ist nur durch Leiden möglich.’
    Dies ist zwar eine Binsenweisheit, die spätestens seit Petrarca zu den Klischees menschlicher Erfahrung gehört, doch schien sie mir von überraschender Tiefe zu sein. ‘Glücklichsein ist nur durch Leiden möglich.’ Ich weiß noch, daß ich unwillkürlich lächelte bei

Weitere Kostenlose Bücher