Lauras Bildnis
trauriger.’
Immer wenn Laura ihr Glas hob, sah ich den schlichten Ehering. Sie schien meinen Blick bemerkt zu haben, denn sie sagte mitten in meinen Redefluß hinein, als werfe sie einen Stein: ‘Mein Mann ist Australier. Er ist ein sehr guter Mann.’
Es war plötzlich unerträglich still. Eine Stille, die das Knacken der brennenden Scheite nur noch verstärkte. Jedes noch so belanglose Wort, das nun fallen würde, konnte die Stille zerbrechen, als sei sie ein allzu dünnwandiges Gefäß, bis zum Rand mit Zeit gefüllt.
Ich trank aus, füllte nach, räusperte mich und sagte: ‘Ich bin schon eine Ewigkeit verheiratet.’
‘Meine Ewigkeit kommt mir kürzer vor. Wir verstehen uns gut, Phil und ich.’
Plötzlich lagen Scherben am Boden. Die Zeit war ausgelaufen, das Gefäß zerstört. Minuten, Stunden und Jahre bildeten Muster von nassen Flecken auf dem Teppich. Oder war es Whisky? Laura bückte sich und begann, die Scherben aufzusammeln. ‘Ich bin manchmal sehr ungeschickt’, sagte sie. Dann holte sie ein neues Glas und schenkte sich ein. Wir stießen an.
‘Darf ich ein bißchen näher rücken?’
Ich sah mich um, als hätte ein Fremder gesprochen. Wie war er nur über meine Lippen gekommen, dieser unmögliche Satz? Aus welcher Tanzstunde, aus welchem Groschenroman hatte er sich hierher verirrt? Laura lachte. Aber sie lachte mich nicht aus. Ich war längst näher gerückt. Nun war da nur noch eine Handbreit Luft und Sofabezug zwischen uns. Wir stießen die Gläser aneinander, tranken, und dann bat mich Laura, ihr eine Zigarette zu drehen. ‘Ich finde es eigentlich ganz nett hier’, sagte sie. ‘Diese schmiedeeisernen Lampen, diese scheußlich geblümten Möbelstoffe stören mich nicht. Ich habe selten in meinem Leben soviel Platz für mich allein gehabt.’
Ich erinnere mich, Madame und Monsieur, daß plötzlich zwischen uns eine Stimmung herrschte wie zwischen guten alten Bekannten, die sich länger nicht gesehen haben. Die Belanglosigkeit unserer Unterhaltung war wie ein Duft, wie ein Geruch von Wörtern, in denen man sich wiedererkennt.
Als mein Blick einmal beim Einschenken wie zufällig auf meine Armbanduhr fiel, sah ich, daß es fünf war. Wir tranken den letzten Schluck und erhoben uns. Ich ging vorsichtig die Wendeltreppe hinunter. Der Ofen war aus. Laura brachte mich zur Tür. Ich drehte mich im Rahmen um und sah sie an. Ihr Gesicht kam näher. Es war, als löste es sich von einer dunklen Leinwand ab. Es war der gleiche Mund, der auf mich zutrieb und meine Lippen berührte. Ich glaubte, einen schwachen Acetongeruch zu bemerken. Der Kuß war flüchtig und zart. Die Tür schloß sich, und das Bild von Laura verschwand. Den ganzen Weg nach Hause lächelte ich. Dies schien die einzige Möglichkeit, die Berührung ihrer Lippen noch eine Weile zu bewahren.
Meine Frau saß aufrecht im Bett und schalt mich wegen meines langen Ausbleibens. Ich hörte nicht hin. Ehe ich mich schlafen legte, stand ich eine Weile am Fenster. Die Morgendämmerung leuchtete bereits in alle Ecken und Winkel der Stadt.«
Francesco verstummte. Er schien erschöpft zu sein, denn er atmete schwer. Monsieur Bazin erhob sich von dem Stein, auf dem er mit übereinandergeschlagenen Beinen gesessen hatte, und ging zu ihm. Er hob die Hand und machte eine Bewegung, als wollte er seinem Freund übers Haupt streichen. Doch dann drehte er sich um und ging wieder an seinen Platz. Francesco klang müde, als er fortfuhr zu erzählen.
»Später schrieb ich einmal in mein Tagebuch: ‘Es ist schwerer, als ich dachte, Laura. Mein Schmerz ist ein stummer Schmerz. Es mangelt ihm an Ausdrucksmöglichkeiten. Er ist nicht süß, wie es von seelischen Qualen zuweilen heißt. Mein Schmerz läßt sich nicht klagen. Er läßt sich auch nicht genießen. Er ist bitter und betäubt mich. Manchmal wütet er in mir, dann ist er noch am erträglichsten. Meistens jedoch ist er ein bleiernes Gefühl, mit dem ich ausgegossen bin.
Nun bist du unerreichbar für alle Zeit, Laura, und doch bist du überall, weil du in mir geblieben bist. Der Schmerz in mir hat deine Gestalt. Er ist die Hohlform, in die sich meine vergebliche Liebe zu dir ergossen hat. Dein Fernsein ist zugleich deine Nähe. Dieser Widerspruch zerreißt mich. Deine Wärme ist kalt, wenn man sich nur an sie erinnert. Du bist mein Leben und bist mein Tod. Ich weine nicht, weil meine Tränen Staub sind. Ich schreie nicht, weil meine Schreie Dornen haben, ich zähle die Tage bis zu unserem
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