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Lauras Bildnis

Titel: Lauras Bildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Boetius
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Phantastisch.’
    Dr. Labisch war so begeistert, daß er offenbar nicht bemerkte, auf welch unhöfliche Weise er sich Platz verschaffte. Er stieß mit Kopf und Ellbogen wie ein alter Ziegenbock und zerrte mich zwischen entrüsteten Leuten hindurch zu einer der Wände des Gewölbekellers.
    Dr. Labisch hatte recht mit seinem Urteil. Was ich sah, unterschied sich vollkommen von den anfängerhaften Versuchen von Akademieschülern. Es gab nur zwei Motive, die von der Künstlerin in minimalen Schritten variiert worden waren, so daß man unwillkürlich an die Einzelbilder eines Filmes denken mußte: Haare und Stoffe.
    Die Stoffbilder waren farbig, mit feinster Lasurtechnik in Temperafarben gemalt. Die Haarbilder waren sämtlich Bleistiftzeichnungen. Kleiderstoffe, Vorhangstoffe, Blusen, Tücher flossen über Treppen, in leeren Zimmern, über Fensterbänke, ins Nichts, verschwanden in Türen, fluteten über Stuhllehnen, als hätten sie gerade erst einen Körper verlassen und als wäre dessen imaginäre Form noch schwach in den Falten, Tälern und Hügeln des Textils bewahrt. Stoffe, die von vergangenen Körpern träumten, erinnerte Nacktheit, so kam es mir vor, die sich nun an andere Orte bewegte.
    Die Zeichnungen faszinierten mich beinahe noch mehr. Offene, hochgesteckte, in komplizierte Zöpfe oder Knoten verschlungene Haare, natürlich gelockt, immer die gleichen Haare, nur durch die Frisuren verwandelt, Hals und Dekolleté durch einen einzigen zarten Bleistiftstrich angedeutet, manchmal auch der Rand eines Kleidungsstücks, ein Mantelkragen, ein Blusenausschnitt. Es verriet große Beherrschung der Technik, wie die Zeichnerin es verstand, durch Variieren des Drucks auf den Bleistift die Linien abzuwandeln, ohne dabei abzusetzen. Verdickung und Verdünnung, Wechsel der Grauwerte, alles erreichte sie ohne die üblichen Mittel des Radierens, ohne Schraffuren, Verwischen, ohne Wechsel des Zeichenstiftes, der Minenhärte.
    Ähnlich wie bei den Gemälden wandelte die Künstlerin gekonnt ein einziges Thema ab: das Selbstporträt. Immer war sie es, die sich zeichnete. Immer entstand ein nahezu fotorealistischer Eindruck ihres Gesichtes, und dies verrückterweise dadurch, daß sie es völlig fortließ. Allein aus dem Fall der Haare, dem Bogen des Haaransatzes, der Kopfneigung schien sich das leere, weiße Oval im Zentrum des Bildes in ihr Konterfei zu verwandeln. Wie bei Vexierbildern enthielt das Negativ, die Lücke, die eigentliche Bildinformation. Es war, als verspürten die das fehlende Gesicht umgebenden Haare und Kleidungsränder Sehnsucht nach ihrem Antlitz. Sie erzeugten es durch ihr Verlangen. Und dies stärker, glaubhafter, als es je der Versuch bewerkstelligen konnte, ein Gesicht direkt zu malen oder zu zeichnen.
    Laura war in ihrem Fehlen existent. Es war eine fast körperliche, dreidimensionale Intensität, mit der ihr imaginäres Porträt aus seiner gezeichneten Umgebung entstand.
    Ich sah mich nach ihr um, denn ich wollte sie loben, sie beglückwünschen. Entweder mußte sie sehr eitel sein, sehr narzißtisch geprägt, oder sie hatte das natürliche Selbstwertgefühl eines Kindes, das sich in göttlicher Bescheidenheit selbst erfährt wie die es umgebende Natur.
    Der kleine Professor Knoop war in dem Gewühl nirgends zu sehen, dafür jedoch um so deutlicher zu hören. Plötzlich erschien aber sein Kopf über der Menge; es sah wie der Anfang einer kleinen Himmelfahrt aus. ‘Er macht sich gut auf einem Sockel’, bemerkte Dr. Labisch neben mir. ‘Wir dürfen annehmen, daß er jetzt einige Worte verlieren wird.’
    Man rückte noch enger zusammen. Ein Halbkreis entstand um das Podest, auf dem Knoop stand. Er nahm seine weiße Baskenmütze ab und fächelte sich Luft damit zu. Laura stand in der vordersten Reihe, mit verschränkten Armen und leicht zurückgelegtem Kopf. Manchmal schüttelte sie ihre Locken in einer Bewegung, die mir bereits charakteristisch für sie vorkam.
    Knoop begann seine Laudatio mit einem gelehrten Exkurs über das Wort ‘Laurus’. Er hatte sich gut informiert. Laurus heißt Lorbeer, und dies bedeutet Ruhm. Laurea hingegen heißt Brise. Und so ritt Knoop auf seinen Wortspielen einher. Ruhm und Meer, Laura und Petrarca, wehende Haare im Seewind, raschelnde Lorbeerblätter unter nackten Füßen. Der Redner bewies, daß er auch Poet zu sein vermochte. Zum Schluß seiner Rede zog er tatsächlich ein Säckchen mit Lorbeerblättern aus seinem weißen Kittel und warf sie wie Konfetti in Richtung

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