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Lauras Bildnis

Titel: Lauras Bildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Boetius
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anzumerken. Sie wirkte ernster, lachte nicht mehr so bereitwillig, wenn Knoop einen seiner Scherze machte.
    Madame und Monsieur, Sie wissen genauso wie ich, daß der Beginn einer Liebe von einer ganz ungewöhnlichen Fähigkeit des Mißverstehens gekennzeichnet ist. Das extreme, fast lächerliche Mißverhältnis von Realität und subjektiver Empfindung bildet den Sprengstoff, die Initialzündung, die den dann langsamer verlaufenden Verbrennungsprozeß einer Leidenschaft in Gang setzt. So war es immer, und so wird es immer sein.
    Als ich damals im Keller saß, wehleidig und betrunken, unter quälender Eifersucht leidend, hätte man mich nur mit brachialer Gewalt von meinem Platz vertreiben können. Wie angewachsen saß ich da und beobachtete Laura, Knoop und die anderen. Ich war entschlossen, als letzter zu gehen. Es machte mir nichts aus, daß Knoop mehrmals zu mir herübergrinste und anzügliche Bemerkungen machte.
    Als Laura schließlich gähnte, ausgiebig und die Arme reckend, wurde es als Aufbruchsignal verstanden. Alle erhoben sich. Knoop küßte Laura erst die Hand, anschließend beide Wangen und dann auf den Mund. ‘Es war nett’, sagte sie.
    Wir gingen alle die enge Treppe hoch. Die Nachtluft draußen war kühl. Man sah einzelne Sterne. Ich wich nicht von Lauras Seite. Schließlich waren wir beide allein. ‘Es war nett’, wiederholte sie. Ihr Blick ruhte voll auf mir. In der Dunkelheit irisierten ihre Augen wie die einer Katze. Ich hätte sehr wohl auf den Gedanken kommen können, daß Spott in diesem Blick lag. Doch ich fühlte mich ungewöhnlich wohl in Lauras Nähe. Alles hatte etwas Selbstverständliches, die Dunkelheit, die Sterne, das Straßenpflaster, Lauras Augen, mein Angebot, sie nach Hause zu bringen.
    ‘Nach Hause?’ sagte sie. ‘Das klingt lustig. Eigentlich habe ich mein Zuhause in Australien.’
    Wir gingen eng nebeneinander. Ich hatte den Eindruck, als seien alle Dinge breit und schwarz umrandet. Wir gingen durch den Park, an den Fenstern meiner Werkstatt vorbei. Ich dachte an die Gentildonna, die dort lag, sah ihre Lippen vor mir, die kein Firnis mehr schützte. Laura schloß eine Tür auf. Die Finsternis des Raumes roch verbrannt.
    Ich hörte ihre Stimme: ‘Ich habe mir noch nicht gemerkt, wo die Lichtschalter sind. Wir haben heute nachmittag vergeblich versucht, den Ofen anzuzünden. Er zieht nicht. Und abends ist es schon ziemlich kalt.’
    Wer war ‘wir’? Wer hatte Laura geholfen? Knoop? Ein Streichholz flammte auf, dann brannte eine Kerze. Ich sah Lauras Gesicht auf dem dunklen Hintergrund des kleinen Raumes. Es war die gleiche Beleuchtung wie auf dem Bild.
    ‘Kein Problem’, sagte ich. ‘Wir haben einen ganz ähnlichen Ofen. Ich weiß, wie man ihn anmacht, wenn er lange kalt gewesen ist.’ Laura sah mich fragend an. War auch sie über das ‘wir’ gestolpert?
    Ich öffnete die Klappe am Kaminzug und stopfte alte Zeitungen hinein, die neben Holz in einer Kiste lagen. Dann zündete ich sie an.
    ‘Man muß die kalte Luftsäule aus dem Kamin treiben, dann brennt er sofort’, sagte ich belehrend.
    Alles klappte, wie ich es prophezeit hatte. Der Ofen brannte sofort. Die Flammen fraßen den Ruß vom Sichtfenster der Ofentür. Wärme quoll uns entgegen, eine kalte Wärme, denn sie schob die alte Luft vor sich her. Doch bald wurde es unerträglich heiß, denn ich hatte zu viel Holz aufgelegt.
    Wir flohen eine schmale Wendeltreppe nach oben. Laura hatte die Kerze dabei. Sie holte eine Flasche Whisky und zwei Gläser. Dann setzte sie sich aufs Sofa. Ich setzte mich neben sie und nicht in den Sessel. Der halbe Meter Abstand zwischen uns kam mir vor wie die Lücke zwischen den hochgeklappten Hälften einer Zugbrücke.
    Wir tranken hastig und rauchten eine Zigarette nach der anderen. Es war guter Maltwhisky. ‘Vom Flugzeug’, sagte Laura. Sie sprach fast nichts, ich dafür um so mehr. Es war, als redete ich um mein Leben, als könnte ich mich durch den Wind zahlloser Sätze über einem Abgrund in der Schwebe halten. Ich erzählte von meinen Reisen, meinen drei Kindern, meiner ersten und meiner zweiten Ehe. Von meinem Beruf, von meiner Sehnsucht, selbst Maler zu sein, und meiner Unfähigkeit dazu. ‘Ich bin nur Arzt’, sagte ich. ‘Die Bilder sind meine Patienten. Ich wäre viel lieber jemand, dem die Bilder ihr Leben verdanken. Mir verdanken sie nur ihr Überleben. Das ist manchmal sehr traurig. Aber ein mittelmäßiger Künstler zu sein ist noch unendlich viel

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