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Lauras Bildnis

Titel: Lauras Bildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Boetius
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verhüllt hatte. Nun traten sie in ihrer Schlichtheit klar und frisch hervor.
    Laura zog den Kittel aus und schlüpfte in Jeans und Pullover. Alles war selbstverständlich, auch, daß sie sich bei mir einhakte, kaum hatten wir den Hof verlassen.
    Eine Weile gingen wir am Fluß entlang. Ich spürte, wie Lauras harmonische Art zu gehen sich allmählich meinem Körper mitteilte und ich nicht mehr so verkrampft ausschritt. Plötzlich bog sie ab. Wir kamen durch wenig spektakuläre Viertel, graue Siedlungshäuser, unansehnliche Vorgärten. Ich fragte Laura, ob sie ein bestimmtes Ziel habe. ‘Alles und nichts ist mein Ziel’, sagte sie. ‘Ich fange bei meinen Bildern auch immer irgendwo an, ohne mir groß Gedanken zu machen, ob es eine wichtige Stelle ist.’
    Wir spazierten weiter und weiter. Ich wußte bald nicht mehr, wo wir waren. Lag es an meiner Begleiterin? Sah ich die Stadt inzwischen mit ihren Augen? Ich lebe schon lange hier und glaubte, sie einigermaßen gut zu kennen. Nun aber war sie mir fremd, war mir alles neu, die Fassaden, die Plätze, die Straßennamen. Ich hatte völlig die Orientierung verloren, und dies erzeugte eine leichte Aufgeregtheit, die ich als angenehm empfand. ‘Ich habe Hunger’, sagte Laura. ‘Hast du keinen Hunger?’ Sie strebte einem Wasserhäuschen zu und aß zwei Currywürste hintereinander. Ich trank ein Bier. ‘In Australien schmecken die Würste nicht’, sagte sie. ‘Auch wenn es die gleichen wären, sie würden niemals so schmecken.’ Ich zahlte, und sie gab mir einen Kuß auf die Wange und hakte sich wieder unter.
    So zogen wir weiter durch eine mir unbekannte Gegend. Wir kamen auf einen Platz voller Kastanien und Herbstlaub. Laura setzte sich auf eine Bank. Ich setzte mich neben sie, dann nahm ich die Beine hoch und legte meinen Kopf in ihren Schoß. Neben der Bank standen zwei Statuen aus grauem Stein. Ein griechisches Götterpaar, wohl Hermes und Aphrodite, antikisierendes Mittelmaß aus dem neunzehnten Jahrhundert, doch von Moosen und Flechten verschönt. Aphrodite, der Sage nach aus dem Schaum geboren, der um das abgeschnittene und ins Meer geworfene Zeugungsglied des Uranos entstand. Kronos hatte seinen Vater kastriert, weil der mit seiner Mutter schlafen wollte. Aus den Blutstropfen, die dabei auf die Erde fielen, auf Gäa, die Mutter von Uranos, entstanden die Erinnyen, die Göttinnen der Rache, die jeden Frevler in den Wahnsinn treiben. Welch eine Mythologie: Liebe und Wahnsinn als die zusammengehörende Folge eines Inzests!
    Wir gingen weiter. Es kam mir vor, als ob Laura sich besser auskannte als ich. Wurde sie nicht hin und wieder gegrüßt? War da nicht ein vertrautes Lächeln bei diesem oder jenem Passanten? Ich wollte nach dem Weg fragen, aber Laura schüttelte den Kopf. ‘Raube uns nicht die kleinen Geheimnisse’, sagte sie. ‘Wir finden schon von selbst zurück.’
    Und wirklich, am späten Nachmittag waren wir wieder in mir vertrauten Straßen. Ich verabredete mich mit Laura zum Abendessen, dann ging ich ins Museum. Als ich meine Werkstatt betrat, galt mein erster Blick der Gentildonna. Jemand hatte einen Bogen Papier auf ihr Gesicht gelegt, ein Protokollformular.
    Ich erinnerte mich, daß ich eigentlich längst die Zustandsprotokolle der drei Expressionisten hätte ausfüllen sollen, um ihre Ausleihe zu ermöglichen und eventuelle konservatorische Maßnahmen zu begründen. Jemand hatte mich auf meine Pflichtvergessenheit aufmerksam machen wollen und dazu die Gentildonna benutzt.
    Ich war verärgert und verletzt. Ich nahm das Formular und legte es auf meinen Schreibtisch. Dann stellte ich die Gentildonna auf die Staffelei und lächelte ihr zu. Ich würde das Bild bald Laura zeigen, aber erst mußte ich mir sicher sein, daß dadurch nicht ein Zauber zerstört werden würde.«
    Francesco schwieg, und es war zu spüren, daß er an diesem Abend nicht weiterreden wollte. Sie saßen noch eine Weile schweigend beisammen. Dann erhob sich Madame Régusse. Als sie die Höhle verließ, streifte sie Francesco flüchtig. Es war eine Berührung, die er als angenehm empfand, weil sie vielleicht beabsichtigt war.

Dritter Abend

    Als Francesco erwachte, wußte er lange nicht, ob er in der Wirklichkeit oder in seiner Geschichte war. Die Dämmerung vor dem Fenster verriet ihm nicht, ob sie von einer aufgehenden oder sinkenden Sonne herrührte. Hatte er sich nur für einen Moment hingelegt, ehe er zu einer Verabredung mit Laura gehen würde, oder lag eine Nacht hinter

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