Lauras Bildnis
ihm mit schweren Träumen, von denen nichts übriggeblieben war außer einem undeutlichen Gefühl von Furcht?
Er schloß noch einmal die Lider und schlief ein. Als er die Augen wieder öffnete, war es heller geworden. Jetzt erkannte er sein Zimmer, die Uhr mit dem Frauenkopf, die Staffelei mit der unbenutzten Leinwand, die Kommode mit der blauen Waschgarnitur.
Er stand auf und tauchte sein Gesicht in die Schüssel mit kühlem Wasser. Dann stellte er sich vor den kleinen, ovalen Spiegel, in dem er sich manchmal selbst porträtierte, wie er es nannte. Er sah sich an, ohne die Miene zu verziehen. Seitdem er braungebrannt war wie Monsieur Bazin, traten die Falten neben seinen Augen stärker hervor. Er schmeichelte sich mit dem Gedanken, einem Indianer ähnlich zu sehen. Aber dann zerstörte er sein Spiegelporträt, indem er das Gesicht verzog. »Ganz schön alt bist du schon, mein Junge«, sagte er. »Aber du hast schon mal unglücklicher ausgesehen.«
Er hörte, wie Madame Régusse das Tablett mit dem Frühstück auf dem Hocker im Flur abstellte. Was sollte er mit diesem Tag? Er wollte seine Geschichte weitererzählen. Die Stunden des Wartens darauf versuchte er diesmal im Bett zu verbringen.
Als Francesco gegen Abend das Haus verließ, um sich zu seinem Stelldichein zu begeben, fühlte er sich besser. Es war ihm gelungen, seine Sehnsucht einzuschläfern.
Er war ein wenig spät. Monsieur Bazin und Madame Régusse saßen schon auf ihren Plätzen. »So könnte es ewig weitergehen«, dachte Francesco. »Erzählen ist besser als leben.« Dann setzte er seine Geschichte fort.
»Ehe ich zu meiner Verabredung mit Laura ging, rief ich meine Frau an und teilte ihr mit, daß ich bei einer Kollegin zum Abendessen eingeladen sei und wahrscheinlich erst spät in meine Wohnung zurückkehren würde, sie brauche daher nicht versuchen, mich dort zu erreichen.
Die Notlüge kam mir leicht über die Lippen, weil sie wie eine Wahrheit kostümiert war. War ich denn nicht ein Kollege von Laura? Auch wenn ich meine eigenen Versuche zu malen nicht allzu ernst nahm, hatte ich doch inzwischen so viel Zeit und Kraft in sie investiert, daß ich mich des Titels Maler nicht zu schämen brauchte. Alles, was mir fehlte, war Kreativität, war das, was Laura in hohem Maße zu besitzen schien. Ich nahm mir vor, mit ihr beim Essen darüber zu reden.
Ich entsinne mich, daß ich in einer fast geschäftsmäßigen Stimmung war, die meine Aufregung sehr gut verdeckte. Ich ging nicht zu schnell, und ich hatte eine Weinflasche dabei, die ich beim Gehen wie eine Keule schwenkte.
Hätte man mich damals festgenommen und nach meiner Identität gefragt, ich glaube, ich hätte nichts sagen können. Mein Name wäre mir nicht eingefallen und schon gar nicht mein Alter. Ich hatte kein Alter, wahrhaftig nicht. Vielmehr hatte ich mich in jener zeitlosen Naivität verfangen, die für einen Verliebten kennzeichnend ist.
Laura öffnete auf mein Klingeln.
Hitze quoll mir entgegen. Ihr Gesicht und Körper waren im Licht der Kerzen nur als Schattenriß zu erkennen. Doch ihre Haare leuchteten goldfarben und in feinster Ziselierung. Ich benutze bewußt diese dubiosen Ausdrücke, denn das Bild, das sich mir bot, war kaum zu überbieten in seiner sentimentalen Intensität. Es war Lebenskitsch, einer jener Augenblicke, die in der Erinnerung eine Leuchtkraft behalten, wie sie im Bereich der Malerei typisch für banale und industriell produzierte Bilder ist. Sie sind stil- und alterslos zugleich. Sie wenden sich ausschließlich an Gefühle, die sie kopieren. Kopien haben es zuweilen an sich, daß sie die Originale übertreffen, was die Haltbarkeit der Pigmente anbelangt. Es ist wirklich so, daß in Epochen stilistischen Niedergangs, wie zum Beispiel in der Spätgotik, Bilder von einer maltechnischen Qualität sind, von der man nur träumen kann. Innovative Malerei hingegen ist oft besonders anfällig gegen Attacken der Zeit.
Laura hatte die grüne Bluse an und ein Essen gekocht, das ausschließlich in dieser schwierigen Farbe gehalten war. Auf weißen Tellern war Grün in allen Schattierungen und Farbtemperaturen dekoriert. ‘Bist du Vegetarierin?’ fragte ich. ‘Nein. Aber Malerin’, sagte sie. ‘Und ich neige dazu, die Verhältnisse zu vereinfachen.’ Heute kommt mir diese Äußerung wie bitterste Ironie vor, Monsieur. Auf ihr Essen bezogen, stimmte sie jedoch.
Laura kochte völlig salzlos. Ich schmeckte nach kurzer Zeit selbst mit meinem von scharf gebratenen
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