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Lauras Bildnis

Titel: Lauras Bildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Boetius
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mit Kaffeetassen und Kuchentellern gedeckt. Auf dem Rückweg zum Auto kamen wir an lauter alten, schwarzgekleideten Frauen vorbei. Wie Dohlen auf einem frisch gepflügten Feld. Sie reckten die Hälse nach uns und winkten. Eine rief: ‘Ach wie süß, ihr beiden!’
    Laura setzte mich an einem Hotel der Kleinstadt ab, in der ich meinen Vortrag halten sollte. Wir saßen eine Weile stumm nebeneinander im Auto. Ich wußte, daß ich die Frage stellen mußte. Aber sie kam mir schwer über die Lippen: ‘Willst du nicht bleiben?’
    Sie schüttelte den Kopf. ‘Ich würde gern. Aber ich brauche noch etwas Zeit für mich. Ich will heute Phil anrufen. Ich habe mich noch kein einziges Mal gemeldet.’
    Ich nickte und stieg aus. Laura fuhr davon, ohne zu winken oder sich umzudrehen. Wahrscheinlich sah sie mich im Spiegel.
    Ich war nicht einmal traurig. Krank, wie ich war, sammelte ich meine letzten Kräfte für den Vortrag, bei dem es um den Wandel der Berufsauffassung der Restauratoren in den letzten Jahrhunderten ging. Ich mußte oft husten und kleine Pausen machen. Auch trank ich Unmengen von Wasser. Aber ich war gut. Ich verglich den Restaurator mit einem Liebhaber, der den Gegenstand seiner Liebe entweder in seinen persönlichen Eigenschaften überfremdet, ihn verfälscht durch seine Gefühle oder aber ihn freilegt in seinem Wesen, indem er ihn liebend respektiert. ‘Ein guter Restaurator muß loslassen können’, rief ich ins Publikum, ‘er muß einen Sinn für die Grenze haben, bis zu der sich seine Leidenschaft vorwagen darf.’
    Sie sehen, Madame und Monsieur, es hat mir nie an richtigen Gedanken gefehlt, aber dies hinderte mich nicht daran, in der Wirklichkeit gegen all diese Regeln zu verstoßen.
    In der Nacht hatte ich hohes Fieber. Immer wieder wachte ich schweißgebadet auf. Ich hatte das Kissen im Arm und preßte es an mich. Ich flüsterte Lauras Namen und glaubte, ihren Atem zu hören.
    Am Morgen ging es mir schlecht. Ich hatte starke Kopfschmerzen und fühlte mich schwach auf den Beinen. Die Rückfahrt im Zug erlebte ich schmerzhaft intensiv. Die Landschaft glich einem Bilderbogen zum Ausschneiden. Jedes Detail, jeder Baum, jede Wolke, jedes Haus wirkte ohne Zusammenhang mit der Umgebung und verlangte einen Blick wie eine Schere, der sie aus dem Bogen heraustrennte.
    Der Weg vom Bahnhof über die Brücke erschöpfte mich. Als ich vor Lauras Tür stand, war sie verschlossen. Es war ein warmer und sonniger Tag, und ich überlegte, wo ich sie suchen sollte. Es gab mehrere Möglichkeiten: die Galerie, die Ateliers, eine Bank am Fluß, die Stadtbücherei. Laura hatte mir erzählt, daß sie eine Menge Bücher ausleihen wollte.
    Eigentlich gehörte ich ins Bett. Aber ich ging in die Kunstschule hinüber. Ich öffnete sämtliche Ateliertüren, ohne anzuklopfen, und starrte in die großen Räume hinein.
    Ich muß wie ein komischer Geist gewirkt haben, denn immer wenn ich die Tür schloß, hörte ich das Gekichere der Studenten und Studentinnen. Laura war nirgends. Ich sah nur eines ihrer Bilder.
    Ich ging ins Museum hinüber und sagte dem Pförtner, daß ich von einer heftigen Grippe befallen sei und bis auf weiteres das Bett hüten müsse. Er sah mich prüfend an. Dann sagte er freundlich: ‘Trinken Sie einen Grog und decken Sie sich gut zu, dann schwitzen Sie alles heraus. Sie hätten doch nicht kommen brauchen. Warum haben Sie nicht angerufen.’
    Ich ging zu Labisch und schilderte ihm meinen physischen Zustand. ‘Heute kommt die große Stadtansicht. Ich lasse sie in Ihre Werkstatt bringen’, sagte er. ‘Eigentlich sehen Sie ganz gesund aus’, fuhr er fort und zeigte seine großen Hasenzähne. ‘Die Krankheit verleiht Ihnen eine gewisse Jugendlichkeit. Sie sehen aus, als ob man Sie gut restauriert hätte.’ Labisch lachte über seinen Spaß. ‘Ich besuche Sie vielleicht am Krankenbett’, rief er mir nach. ‘Wenn ich dann noch lebe’, sagte ich und schloß die Tür.
    Anschließend ging ich in die Galerie hinüber und streifte durch alle Räume. Es war eine Folter, diese zahllosen, viel zu eng gehängten Bilder zu sehen. Am liebsten hätte ich nur eines gehängt. Die Gentildonna. Ihr leibliches Ebenbild entdeckte ich nirgends.
    Ich ging zum Fluß und lief an einigen Bänken vorbei, stromab, als fehle mir die Kraft zur anderen Richtung. Laura war nirgends zu sehen. Fieber und Erschöpfung versetzten mich in Euphorie. Zu wissen, daß sie irgendwo in der Stadt war, machte mich glücklich. Es war nicht

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