Lauras Bildnis
Wiedersehen, aber sie vermehren sich wie unansehnliche Heuschrecken. Du bist mein Tod, Laura, weil du so voller Leben bist.’
Ich war damals in einer pathetischen Phase. Und ich hatte zuviel Petrarca gelesen. Doch ich kann nicht leugnen, daß ich immer noch nicht darüber hinweg bin. Ja, manchmal habe ich das Gefühl, als stünden mir die eigentlichen Erschütterungen noch bevor.
Anfangs war alles schön und wie geträumt. So ist es immer zu Beginn einer Liebe, doch in diesem Fall schienen mir die Farben tiefer und das Licht klarer zu sein, das auf alles fiel, was wir erlebten. Der Oktober war sonnig, die Luft frisch und rein, und jeden Abend ging die Sonne in opalen Farben unter.
Den Tag nach der Vernissage verbrachte ich mit meiner Frau. Es ging ihr besser, und ihr Ärger war schnell verraucht. Wir gingen ins Kino und anschließend in ein Restaurant. Sie aß wieder mit Appetit, und ich beobachtete sie, wie sie beim Kauen den Mund fest geschlossen hielt. Es hatte etwas Angelerntes an sich.
Abends fuhr sie zurück in unser Landhaus. Wir standen am Auto, und ich streichelte ihr mit ein, zwei Bewegungen der Hand übers Haar. Es war ein behutsamer Abschied, wie von einem Kind, das in die Ferien fährt.
Ich konnte nicht einschlafen. Gegen Mitternacht zog ich mich an und ging in die Werkstatt. Ich schlüpfte in den Arbeitskittel und stellte meine Utensilien zusammen. Dann begann ich wie ein Besessener zu arbeiten.
Ich entsinne mich nicht, je mit einer solchen Konzentration vorgegangen zu sein. Vor allem, als ich die Stirnpartie mit der Narbe behandelte, war ich in einem Zustand, in dem höchste Empfindlichkeit und eine tranceartige Ruhe und Sicherheit der Bewegungen miteinander harmonierten. Üblicherweise werden Blasen in einem Bild erst niedergelegt, ehe der Firnis abgenommen wird. Es ist einfacher, eine glatte Fläche zu bearbeiten. Ich wählte den schwierigeren Weg. Er verlangt mehr Einfühlung, ist jedoch auch angemessener, wenn er richtig beschritten wird. Ich entfernte den Firnis, bevor ich die Blasen behandelte. Kein Wischen oder Reiben mit acetongetränkten Wattestäbchen, nur vorsichtiges Rollen auch über die Blasen hinweg. Es dauert länger und setzt voraus, daß die Blasen stabil genug sind. Der Vorteil dieser Methode liegt auf der Hand. Ist der Firnis einmal entfernt, dringt das Festigungsmittel, mit dem die Blasen niedergelegt und mit dem Untergrund verbunden werden, wesentlich besser ein. Im übrigen griff ich zum Niederlegen in diesem Fall nicht zu der üblichen Methode, mit dem erwärmten Heizspachtel wie mit einem kleinen Bügeleisen über die von Leim und Netzmittel weich gewordenen Blasen zu fahren. Ich bevorzugte auch hier eine raffiniertere und aufwendigere Technik.
Man stülpt einen kleinen Trichter mit Gummirand über die erweichte Malschicht: Der Trichter hat zwei kleine Stutzen. Zum einen führt ein Schlauch, dessen Ende man in den Mund nimmt. Den anderen hält man mit dem Daumen zu. Durch Ansaugen der Luft erzeugt man einen Unterdruck im Trichter. Dies hat zur Folge, daß der durch die Malschicht gedrungene Leim sich in die kleinsten Hohlräume verteilt und gleichzeitig die Blase sich ohne mechanische Berührung an den Untergrund anlegt. So werden Verletzungen der Bildoberfläche durch den heißen Spachtel vermieden.
Ich arbeitete mit der Besessenheit eines Liebhabers. Als der Morgen graute, hatte ich den Firnis der oberen Gesichtshälfte bis zum Haaransatz entfernt und die Blasenansätze oberhalb der Augenbrauen der Gentildonna niedergelegt. Bei der Arbeit mit dem Vakuumtrichter hatte ich das Gefühl, einer Person sehr nahe zu sein, etwas von ihrer geheimnisvollen Aura einzuatmen, winzige Partikel ihrer Haut zu inhalieren. Ich war erleichtert und erschöpft, als ich das Bild vom Tisch nahm und auf die Staffelei stellte, um das Ergebnis zu begutachten. Ich setzte mich in den Sessel und zündete mir eine Zigarette an. Im bläulichen Licht der Morgendämmerung sah die Gentildonna ähnlich bleich und erschöpft aus wie ich wohl in diesem Moment.
Vor Eintreffen der ersten Angestellten verließ ich das Haus. Niemand begegnete mir auf meinem Weg zu Lauras Appartement in einem zweistöckigen Gebäude am Ende des Parks, der sich zwischen der Galerie und der Kunstschule entlangzieht. Wenn ich ein Fenster meiner Werkstatt öffnete und mich hinauslehnte, konnte ich Lauras Wohnungstür sehen.
Ich setzte mich auf eine von ein paar Bäumen verdeckte Bank und beobachtete zwischen den Stämmen
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