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Lauras Bildnis

Titel: Lauras Bildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Boetius
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sprach, schalt Laura mich. ‘Wir haben noch so viel Zeit.’ Sie wiederholte es immer wieder, wie eine Beschwörungsformel. Ich fragte sie nach ihrem Leben dort aus. ‘Wir haben ein Haus und zwei Autos und Pferde. Unser Garten ist so groß wie ein Park. Ich habe ein eigenes Atelier, von dem aus man die Berge sieht.’‘Warum bist du nicht dort, wenn es so schön ist?’ fragte ich verzweifelt. ‘Hier ist es auch schön. Du bist schön.’‘Und Phil?’‘Phil ist großzügig. Er hat mir zugeredet, das Stipendium anzunehmen.’‘Und was soll das mit mir?’ Statt einer Antwort begann sie, mich zu liebkosen. Ich hatte keine Chance gegen Laura.
    In diesen Tagen trat eine Veränderung meiner Arbeitssituation ein, die mich sehr belastete. Als ich eines Morgens meine Werkstatt betrat, war er einfach da, dieser Mensch, der sich anmaßte, mit einer Taschenlupe die Gentildonna zu untersuchen, und nun auf mich zutrat, um mir die Hand zu geben und sich in höflichster Form vorzustellen. Es war eine kühle, weiche Hand, sehr gepflegt, von keinen der üblichen Spuren unserer Arbeit gezeichnet. Vom ersten Moment an war mir dieser Mensch zutiefst unsympathisch, ohne daß ich dafür einen echten Grund angeben könnte. Er war völlig korrekt, und er verstand sein Handwerk, wie sich bald zeigte. Es war der Restaurator, den man für die Arbeit am Stadtprospekt engagiert hatte. Er war Schweizer, und er sah erschütternd gut aus. Ich hatte selten einen so gepflegten Mann gesehen. Seine Kleidung war von dezenter Eleganz, genauso wie seine Manieren. Wenn er in den Arbeitspausen Kaffee mit mir trank, bewies er einen liberalen Geist. Seine zurückhaltend geäußerten Meinungen hätten überall gefallen können. Seine Stimme war sonor, ohne zu laut zu sein. An dieser Person war einfach nichts auszusetzen. Seine Normalität bildete einen extremen Kontrast zu meinem inneren Zustand, der sich mehr und mehr auch in meinem Äußeren niederschlug. Ich war unrasiert, meine Kleidung war voller Farbflecken, ebenso meine Hände. Es war nicht zu übersehen, daß ich mich verwahrlosen ließ.
    Mein Kollege fand sich schnell zurecht. Er arbeitete exakt und im richtigen Tempo. Daß er bei der Firnisabnahme eine Atemmaske trug, hätte eigentlich meinen Beifall finden sollen.
    Glücklicherweise hat meine Werkstatt einen großen Nebenraum, in dem wir seinen Arbeitsplatz einrichteten. Im gleichen Raum hätte ich ihn nicht ertragen. Gleich am ersten Tag fragte ich ihn nach seiner Meinung zur Gentildonna. Er zog noch einmal seine vergoldete Lupe aus der Tasche und musterte die Bildoberfläche gründlich.
    Dann gab er seine Meinung ab: ‘Dieses Bild ist auf den ersten Blick in einem phänomenal guten Zustand, sieht man von der Neigung zur Blasenbildung im Inkarnat ab. Ich würde es als außerordentlich gesund bezeichnen, abgesehen von seiner hohen künstlerischen Qualität. Dennoch werde ich das Gefühl nicht los, daß es insgesamt gesehen instabil ist. Vielleicht steht das Holz unter Spannung. Jedenfalls würde ich abraten, es noch einmal größeren klimatischen Veränderungen auszusetzen. Am besten lassen Sie es hier in Ihrer Werkstatt.’
    Er sah mich lächelnd an. Hatte er meinen Wunsch erraten, der Gentildonna einen Ehrenplatz in den öffentlichen Räumen unseres Hauses zu verschaffen? Ich wußte nun, daß ich keinen Verbündeten für diesen Plan in ihm haben würde.
    In Lauras Wohnung herrschte immerwährender Winter. Jetzt war auch draußen Winter geworden. Das Wetter war naßkalt und ungewöhnlich stürmisch für die Gegend. Wir gingen oft am Fluß spazieren, auf dem es zuweilen richtige Wellen gab. Der scharfe Westwind, der graue, ausgefranste Wolken vor sich her trieb, machte uns Reiselust. Ich schlug Laura vor, eine Woche ans Meer zu fahren. Eine Präventivmaßnahme, mit der ich ihre bevorstehende Reise nach Australien besser zu ertragen hoffte. Laura wollte jedoch nicht ans Meer. ‘Es ist uns beiden zu sehr vertraut. Es würde eine Reise zurück in unsere Jugend sein. Ich möchte aber älter werden mit dir.’
    Wir waren melancholisch. Vielleicht war dies der Grund, daß ich Wien als Reiseziel vorschlug. Laura war von der Idee begeistert.
    Ich nahm eine Woche Urlaub mit der Begründung, immer noch zuweilen Kopfschmerzen von meinem Arbeitsunfall zu haben. Dann saßen wir im Zug, Laura mit dem Rücken zur Fahrtrichtung. Ihre Augen bewegten sich kaum im Sog der abfließenden Landschaft. Wir hatten Bücher dabei, aber wir lasen nicht. Wir redeten

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