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Lauras Bildnis

Titel: Lauras Bildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Boetius
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mußte ich meine Reise antreten. Der Abschied von Laura war ein kleines Kunstwerk. Zugleich pathetisch und familiär. Wir badeten in angenehmer Traurigkeit. Laura war eine Meisterin des Abschiednehmens, genauso wie sie eine Meisterin des Wiedersehens war.
    Wir fuhren mit dem Taxi zum Bahnhof. Laura trug den Klimakoffer mit den drei Bildern. Sie trug einen Trenchcoat, als gälte es, eine Szene aus Casablanca nachzustellen.
    Der Zug hatte Verspätung. Es war geschenkte Zeit. Wir standen nahe beieinander, ohne uns zu berühren. Ich empfand diese Nähe wie etwas Materielles, wie einen Körper, in den wir hineingewachsen waren. Als es Zeit war, sich loszureißen, tat alles weh.
    Der Zug glitt aus der Bahnhofshalle in den nebligen Tag, ich hing aus dem Fenster und sah Laura kleiner und blasser werden im Dunst. Sie hatte eine Hand erhoben, aber sie winkte nicht richtig, sie bewegte sie nur im Gelenk ein wenig hin und her.
    In einer Kurve verlor ich sie aus den Augen. Ich warf mich in meinen Sitz und gab mich meinem Abschiedsschmerz hin. Ich hatte einen Band mit Sonetten Petrarcas dabei. Eine schlechte Übersetzung, doch ich hätte keine bessere Lektüre finden können in diesem Moment.
‘Wie bang ist mir, erinnr ich an das Scheiden
    Und an das tiefe Sinnen mich, worunter
    Die Herrin meinem Blick entschwand. Und bunter
    war mir die Welt doch nie und so voll Freuden.’
    In Wirklichkeit war es draußen grau. Es gab fast keine Kontraste. Die dunstige Landschaft ließ kaum ein Gefühl der Bewegung aufkommen. ‘Ich vermisse dich jetzt schon’, waren Lauras letzte Worte gewesen. Ich sagte sie mir immer wieder vor, bis ich darüber einnickte.
    Als ich erwachte, waren wir in den Bergen. Es schneite; ungewöhnlich früh für Oktober. Ich sah aus halbgeschlossenen Lidern in eine Welt, die langsam und gleichmäßig mit Deckweißübermalt wurde. Ich war nicht mehr traurig, aber ich verspürte jetzt einen Druck auf der Brust wie von einem Eisenring. Mir war leicht übel, und ich atmete schwer und unregelmäßig. Die Trauer hatte sich in Angst verwandelt. Ich sah auf die Uhr. Es war ein Indiz dafür, daß ich begonnen hatte, auf das Wiedersehen mit Laura zu warten.
    In Hamburg übergab ich die Bilder. Ich tat alles, was ein Restaurator in einem solchen Fall zu tun pflegt. Ich untersuchte die Oberfläche auf Transportschäden. Bei dem ‘liegenden Mädchen, nackt’ war ein daumennagelgroßes Stück aus dem Inkarnat der Bauchdecke herausgebrochen. Ich fand es im Koffer und setzte es mit Hilfe der mitgebrachten Utensilien wieder ein. Ich überwachte anschließend das Hängen und maß mit dem Hygrometer das Raumklima. Die Galerie war viel zu feucht, doch monierte ich dies nicht.
    Noch am Nachmittag fuhr ich weiter zu meinen Eltern. Ich hatte mich telefonisch angekündigt, und mein Vater holte mich vom Bahnhof ab.
    Wir umarmten uns schüchtern und zugleich fest. So war es immer, wenn wir uns wiedersahen. Dann trat er zurück und musterte mich aus von der Zugluft tränenden Greisenaugen.
    ‘Du siehst nicht gut aus’, sagte er. ‘Bist du krank?’
    ‘Es war eine anstrengende Fahrt’, sagte ich. ‘Aber es geht mir nicht schlecht. Ich bin nur ein wenig müde.’
    Er nahm meine Reisetasche und hakte mich unter. Dann saß er am Steuer seines Autos. Wie immer fielen aus seinem Mund kurze, knappe Sätze mit langen Pausen dazwischen.
    ‘Ich schaffe es ganz gut, mit allem klarzukommen.’
    ‘Aber ich weiß natürlich nicht, wie lange es noch geht.’
    ‘Es ist ein Glück für uns, daß ich gesund bin.’
    ‘Deine Mutter kann nichts mehr allein.’
    Ich ertappte mich bei dem Wunsch, die Hand meines Vaters zu nehmen und in meinen Schoß zu legen, wie Laura es einst getan hatte. Einst? Ich erschrecke noch jetzt über dieses Wort, denn ist dies alles, wovon ich erzähle, bereits schon so lange her? Mir erscheint es fast gegenwärtiger als damals, als ich Laura erst wenige Wochen kannte.
    Ich sah meinen Vater von der Seite an, so, daß er es nicht merken konnte. Er hatte den Kopf leicht in den Nacken gelegt und blickte mit seinen zu Schlitzen verengten Augen starr auf die Straße. Er hatte unverkennbar immer noch den Blick, den er sich in seinem langen Berufsleben als Seemann angeeignet hatte. Sehr konzentriert, sehr in die Ferne gerichtet. Ungeeignet für die Nähe einer Straße. Er fuhr mitten auf ihr, als handelte es sich um eine Fahrrinne, die dort am tiefsten ist.
    ‘Mein Bein ist wieder besser.’
    ‘Manchmal bin ich müde.’
    ‘Ich

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