Lauras Bildnis
Unterteller, das Raunen der Gespräche, die Schritte der Kellner, das Anreißen eines Streichholzes am Nachbartisch, alles verwob sich zu einem weichen Klangteppich, auf dem sich unser eigenes Schweigen sicher und angenehm bewegte.
Heute frage ich mich, warum wir damals über die Problematik unserer Lebenssituation so wenig redeten. Vielleicht nahmen wir sie nicht mehr wahr. Wir lebten auf der erdabgewandten Seite des Mondes. Australien war genauso weit weg wie meine Heimatstadt. Manchmal hoben wir in einer langsamen Bewegung den Blick und sahen uns an, gleichzeitig, wie auf ein inneres Kommando. Unsere Brillengläser spiegelten sich ineinander.
‘Du hast Sahne am Bart’, sagte Laura. Sie wischte mir mit einer großen Serviette den Mund. ‘Es ist immer noch etwas da.’ Noch einmal tupfte sie die Stelle ab. ‘Nun ist es weg’, sagte sie. Ich hob die Tasse und trank, wohl wissend, daß Lauras Aktion nun vergeblich gewesen war. Sie blickte mich lächelnd an. ‘Eigentlich bist du ein ziemlich kleiner Junge’, sagte sie. ‘Deine Versuche, älter zu werden, haben etwas Dilletantisches an sich.’
Wenn ich an damals zurückdenke, kommt mir alles wie ein Traum vor, von dem man nicht weiß, ob ihn der Moment des Erwachens nicht bereits verändert hat. Ich vermute, daß wir damals glücklich waren, ohne dies als ungewöhnlich zu empfinden. Manchmal stritten wir uns über Kleinigkeiten, als sei dies eine Art Streiflicht, das die Nähe und Einigkeit erst richtig sichtbar machte.
Wir gingen viel in Museen. Bei all dem Prunk ihrer Architektur wirkten sie wie Asyle des Verfalls. Altersheime für ewige Werte der Kunst.
Besonders ein Bild hatte es Laura angetan, ‘Das Mädchen mit dem Pelz’, von Tizian. Eine Pelzstola teilt den Oberkörper der Dargestellten. Die eine Brust ist nackt, die andere unter dem Pelz verborgen. ‘Genauso fühle ich mich’, sagte Laura. ‘Mir ist heiß und ich friere.’ Sie verbrachte Stunden vor diesem Bild und wollte dabei allein sein. Ich ging zum Pförtner und ließ mich beim Restaurator der Kunstgalerie melden.
Er holte mich ab, ein gutaussehender Mann mit graumelierten Locken und Bart. Er sieht ganz wie ein Maler aus, dachte ich voller Neid. Seine Augen hatten ein gewisses Feuer, das die Schatten unter ihnen noch verstärkten. Er führte mich durch ein Labyrinth von Gängen, gegen das die Innenarchitektur meines Hauses simpel wirkt. Die Werkstatt, in der wir schließlich landeten, war in einem unbeschreiblichen Zustand. Ein Chaos unter einer dicken Staubschicht. Überall eingetrocknete Farben, hart gewordene Pinsel. Bilder von offenbar sehr unterschiedlicher Qualität stapelten sich in allen Ecken. Wie konnte man hier nur arbeiten! Und doch schien mein Kollege nicht untätig zu sein, denn es gab etliche Stellen, an denen der Staub beseitigt war, Abdrücke von Händen, Fußspuren auf dem Parkett. Der Herr über dieses Reich lehnte mit verschränkten Armen in einer der Fensternischen und musterte mich. Dann sagte er in diesem unnachahmlichen Akzent der Wiener: ‘Sie sind hier kein Unbekannter, Herr Kollege. Ihre Arbeit über Säureattentate habe ich mit großer Aufmerksamkeit gelesen, auch wenn ich nicht in allen Punkten Ihrer Meinung bin. Vor allem, was die Psychologie der Attentäter angeht und natürlich den Wert der Opfer im allgemeinen. Ich bin ganz und gar nicht der Ansicht, daß die Zerstörung wichtiger Kunstwerke auch nur im geringsten einen Verlust für die Menschheit darstellt. Im Gegenteil, wir sollten froh sein über jede Maßnahme, die den Inhalt dieser vollgestopften Rumpelkammer der abendländischen Kultur dezimiert.’
Ich wußte nicht recht, ob dieser Mensch scherzte. Es konnte sich um Wiener Humor handeln, der dem schwarzen Humor der Engländer verwandt sein muß. ‘Wissen Sie’, fuhr mein Gastgeber fort, ‘Sie empfehlen in einem Ihrer Aufsätze, ein verätztes Bild sofort auf den Rücken zu legen, damit die durch den Zersetzungsprozeß breiartig gewordene Malschicht nicht nach unten laufen kann und weitere Partien des Bildes beschädigt werden. Dies ist ein nobler Standpunkt dem Besitzer des Bildes gegenüber, mag es nun ein Privatmann oder die Allgemeinheit sein. Sie übersehen jedoch, daß die partielle Zerstörung des Kunstwerks durch die verlaufende Säure selbst einen kreativen Prozeß darstellt. Es entstehen Effekte von enormer künstlerischer Wirkung. Tachismus auf einem gegenständlichen Frauenakt. Eine laufende Nase auf dem Porträt eines Kaufmanns.
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