Lauras Bildnis
ineinanderfließen, Cafés mit einer Atmosphäre zwischen Bahnhofs- und Leichenhalle. Hier kann man bei einer Tasse Melange sein Lebensende glaubwürdig simulieren. Man erreicht einen Grad der Entspannung wie eine Leiche vor der Totenstarre, wenn der Körper noch nicht völlig abgekühlt ist, der Muskeltonus jedoch bereits fehlt. Die Zeitungen wechseln Tag für Tag, der Holzhalter, in den man sie einspannt, bleibt immer der gleiche. So ist es auch mit der Welt. Die Nachrichten haben von hier aus die Glaubwürdigkeit nacherzählter Alpträume. Es ist, als ob die Menschheit draußen schlecht schlafen würde. Was man an Wünschen und Erinnerungen in sich hat, rieselt geräuschlos vom Kopf in den Körper hinab. Man muß diese Stadt lieben, wenn man unter Liebe eine melancholische Schläfrigkeit der Empfindungen versteht, wie sie Folge heftiger Leidenschaft sein kann.’
Laura hörte mir zu, wie ich es an ihr kannte: in einer Art konzentrierter Abwesenheit.
Wir mieteten uns in einem sehr alten Hotel im sechsten Bezirk ein. Portier, Fahrstuhl, Treppenhaus, Flur, die schwarzen Möbel, der verstaubte Philodendron, der Fernsehapparat aus den Sechzigern mit den oxydierten Messingzierleisten, alles paßte zusammen, als sei ein guter Requisiteur am Werk gewesen. Unser Zimmer hatte riesige Ausmaße. Trotz des gewaltigen Doppelbettes beherbergte es mehr Leere, als es einem Wohnraum zusteht. Die vergilbte Stuckdecke war so weit weg wie ein Wolkengebilde, die Tapeten mit den verblaßten Rosenmotiven wirkten, als blicke man durch Fenster in einen trübe verhangenen Park.
‘Hier läßt es sich leben’, sagte Laura. ‘Und sterben’, fügte sie nach einer Weile hinzu.
‘Wie willst du hier den Unterschied feststellen’, sagte ich. ‘In dem ich dich berühre.’ Sie tippte mich mit einem ausgestreckten Finger an. Dann begann sie, den zerschlissenen Teppich aufzurollen, so daß schadhaftes Parkett zum Vorschein kam. Sie hängte auch die Bilder ab, süßliche skandinavische Fjordlandschaften. ‘Diese Bilder sind schöner’, sagte sie, wobei sie auf die hellen Rechtecke deutete, die auf der Tapete sichtbar wurden. ‘Die hat die Zeit gemalt.’
Das einzige Fenster des Raumes ging auf einen Hinterhof, in dessen Mitte ein kahler Baum stand. ‘Es ist ein Fenster nach Süden’, behauptete Laura. ‘Im Sommer kannst du an klaren Tagen das Mittelmeer liegen sehen.’
Sie warf sich aufs Bett und schloß die Augen.
Ich setzte mich auf den einzigen Stuhl und starrte sie an. Ihre Wange war naß. ‘Warum weinst du’, fragte ich. Ich setzte mich auf den Bettrand und streichelte ihr übers Haar. Sie schluchzte. Dann zog sie mich an sich. ‘Ich weine, weil ich keinen Grund dazu habe’, flüsterte sie. ‘Es ist so schrecklich, richtig glücklich zu sein, findest du nicht?’
Wir richteten uns häuslich ein, kauften Rotwein, Kerzen, Weißbrot und Käse. Laura zog eine imaginäre Linie durchs Zimmer, die auch das Doppelbett halbierte. ‘Dies ist die Toscana, und dies ist die Provence’, sagte sie, ‘ob du es glaubst oder nicht. Ich schlafe in der Toscana, du in der Provence.’
Ich glaubte ihr alles, und es machte mir auch nichts aus, mit der von den Fenstern abgewandten Seite des Bettes vorliebzunehmen.
Immer wenn wir uns im Zimmer aufhielten, überfiel uns bleierne Müdigkeit. Ich hatte alles mitgenommen, was man zum Zeichnen und Aquarellieren benötigte, doch stellten wir beide entsprechende Versuche bald ein. Laura hielt mir ein weißes Blatt Zeichenpapier entgegen. ‘Sieh mal, das bin ich. Ich habe diesmal auch die Haare weggelassen. Findest du nicht, daß ich mich gut getroffen habe?’ Sie saß auf einem Stuhl direkt unter dem Kronleuchter, der von der Deckenmitte aus einer Stuckrosette herabhing wie eine vielbeinige Spinne an ihrem Faden. ‘Komm, wir legen uns hin’, sagte sie.
Sie begann, sich auszuziehen. Ihr weißes Unterhemd löschte für einen Moment ihr Gesicht aus. ‘Ja’, sagte ich, ‘du hast dich erstaunlich gut getroffen.’ Als wir aufwachten, war es Abend geworden. Wir zogen uns an und gingen hinaus in die zugigen Straßen der Stadt.
Wir hatten bald unser Stammcafé, in dem wir tagsüber Stunden verbrachten, unsere Lesebrillen aufsetzten und Zeitung lasen, dazu eine Melange mit Inländer Rum tranken. Wie zwei Eulen im Geäst der Zeit hockten wir da, halb blind, jedoch mit überscharfem Gehör jedes Geräusch der Umgebung wahrnehmend, eine Art feingemusterter Stille. Das Aufsetzen der Tassen auf die
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