Lauras Bildnis
Laura. Deshalb werde ich mich nicht wehren, wenn du nicht wiederkommst.’
In der Nähe unseres Hotels gab es ein riesiges, schwarzgraues Gebäude mit vergitterten Fenstern. Irgendwo an seiner langen Fassade war ein Müllbehälter und direkt daneben ein Briefkasten. Dorthin ging ich am folgenden Vormittag. Ich hob die Klappe und sah in den Schlitz. Ich glaubte, den Wind pfeifen zu hören in der Dunkelheit des Kastens. Wind, der durch die Straßen von Wien fuhr und sich in diesem Hohlraum verfing. Für mich war es der Wind über den Ozeanen, die zwischen mir und Laura lagen.
Ich hob den Kopf und sah die Straße entlang. ‘Aus und vorbei’, flüsterte ich, ‘aus und vorbei.’ Ich warf den Brief in den Kasten. Er würde tagelang unterwegs sein. Es tröstete mich, daß er nun nicht mehr aufzuhalten war.
Ich ging ins Hotel, zog mich aus und legte mich in mein Bett. Ich starrte auf die grünen Vorhänge und lauschte auf den Atem meiner Frau. Sie schlief auf der anderen Seite des Matratzengrabens. Es kam mir vor, als befände sie sich weiter entfernt als Laura jenseits des Meeres.
Die Qual des Wartens vor dem Telefon wurde von Tag zu Tag schlimmer. Kurz vor dem Ende der Ferien beschloß ich, aus diesem Käfig auszubrechen. Willkommenen Anlaß dazu bot mir eine Einladung des Restaurators der hiesigen Galerie. Ich hatte ihn angerufen und mich mit ihm für den Abend verabredet.
Er wohnte in einem der äußeren Bezirke in einer kleinen Wohnung, in einem häßlichen Häuserblock gelegen. Die Räume enthielten alle erdenklichen Merkmale kleinbürgerlicher Depressivität. Erstaunlicherweise gab es kein einziges Bild an den Wänden. Ich nahm innerlich erleichtert Platz.
Mein Gastgeber saß an einem billigen Sofatisch und zerstückelte eine Pizza, die er in seinem Mikrogrill heiß gemacht hatte. Er bot mir davon an, ich jedoch hatte keinen Appetit. Ich rauchte und trank Schlehengeist, den er in großen Trinkgläsern servierte. ‘Wissen Sie, die Arbeit macht mir keinen Spaß’, sagte er, ‘weil alles, was ich damit verdiene, meine Frau kassiert. Ich lebe, wie Sie bereits wissen, in Scheidung. Sie läßt mein Gehalt pfänden, das Biest. Sie hat überhaupt kein Ehrgefühl.’
Ich versuchte zu fachsimpeln, erzählte von dem Tafelbild, das ich im Depot gefunden hatte. Er schien wenig interessiert. ‘Wissen Sie, gute Bilder gibt es wie Sand am Meer’, sagte er. ‘Das liegt an dieser primitiven Malwut, die die Genies genauso überkommt wie die Stümper. Darin sind sie sich gleich. Die sollten wissen, daß sie uns damit nur Scherereien machen.’ Er goß Schnaps nach und schnitt mißgelaunt an seiner Pizza herum. ‘Pro Jahrhundert gibt es drei Maler, die in ihrem Leben drei Bilder malen, die keine Fälschungen sind. Der Rest ist überflüssig.’ Er schnaubte wütend und steckte sich eine Zigarette an.
Ich erzählte von Laura. Von ihrer Ähnlichkeit mit dem Bild, von meiner Besessenheit, meiner Liebe zu ihr. ‘Postpubertärer Gefühlskitsch’, sagte er. ‘Diese Laura wird genauso ein Biest wie meine Frau, wenn Sie sie erst haben. Ich würde an Ihrer Stelle die Finger davon lassen. Sie ist eine Fälschung Ihrer Triebe. Grundiert haben sie mit Weltschmerz.’
In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Mein Gastgeber genoß es sichtlich, nicht gleich abzuheben. Jedes Läuten schnitt mir ins Herz. Schließlich nahm er ab und reichte mir kurz darauf den Hörer. ‘Für Sie. Eine Frau, wenigstens ist es nicht die meine.’
Es war meine Frau. ‘Sie hat eben angerufen’, sagte sie. ‘In einer halben Stunde will sie es noch einmal versuchen.’
Ich hielt den Hörer wie eine Hantel. Meine Fingerknöchel traten weiß hervor unter seinem Gewicht. Ich erhob mich und stürzte davon. Mein Gastgeber rief mir etwas ins Treppenhaus nach, aber ich hörte nicht hin. Ich rannte auf der Straße und sah nur meine Fußspitzen, wie sie wieder und wieder in eine Dunkelheit stießen, die nicht weichen wollte.
Einige hundert Meter entfernt sah ich den erleuchteten Bus an der Haltestelle. Der Fahrer saß am Steuer und las Zeitung. Ich tastete in der Brusttasche meines Jacketts nach dem Brillenetui. Es war nicht da.
Ich rannte zurück in einer Art Blindheit, wie sie höchste Angst erzeugt. Stolperte die Treppe hoch und riß dem anderen das Etui aus der Hand, das er in Erwartung meiner Rückkehr bereits herbeigeholt hatte. ‘Nichtigkeiten, wegen denen man sich echauffiert, machen lächerlich’, sagte der Restaurator. Dann war ich wieder
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