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Lauras Bildnis

Titel: Lauras Bildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Boetius
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sein.’ Wieder hatte ich ein schlechtes Gewissen. Ich fuhr mit dem Fahrstuhl hoch. Dann saß ich wie ein Angeklagter vor dem Designerschreibtisch. ‘Ich muß schon sagen’, bekam ich zu hören, ‘Sie haben ein sicheres Gespür. Ich verstehe Sie vollkommen, auch als Mann übrigens.’
    Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, daß er von der Gentildonna sprach. Er hatte sie sich also inzwischen angesehen. Während meiner Abwesenheit. Ich war wütend und verletzt.
    ‘Ich überlege mir ernsthaft’, fuhr der Chef fort, ‘ob wir nicht Platz schaffen sollen für Ihre Schöne. Durch den Neubau wird dies vielleicht möglich sein. Machen Sie jedenfalls weiter mit Ihrer Arbeit daran und sorgen Sie für eine angemessene Rahmung. Aber übertreiben Sie nicht. Sie sehen reichlich abgespannt aus.’
    Eigentlich hätte ich froh sein müssen, denn ich hatte erreicht, was ich wollte. Doch ich war überreizt. Ich ertrug es kaum, mit diesem kritisch besorgten Blick angesehen zu werden.
    Nach dem Dienst lief ich oft durch jene Stadtteile, die ich mit Laura entdeckt hatte. Sie wurden mir nicht vertraut, obwohl ich versuchte, mir die Straßennamen zu merken. Es war ein Niemandsland, ich ein Fremder darin, Laura verschollen. ‘Australien’ nannte ich diese Gegend.
    Dann mußte ich wieder als Kurier in den Norden reisen, um die drei Expressionisten zu holen. Ich löste eine Umwegkarte und fuhr in Lauras Heimatstadt. Ich war aufgeregt, als sei dies gleichbedeutend mit einem Wiedersehen. Als ich das Bahnhofsportal öffnete, wehte mir feuchte Salzluft entgegen.
    Ich war glücklich, denn ich unternahm eine Reise in Lauras Vergangenheit, die meiner eigenen so ähnlich war. Es war, als würde ich ein Bild auf eine Weise rahmen, die seine Wirkung steigerte.
    Ich betrat eine Telefonzelle und sah im Telefonbuch unter Lauras Mädchennamen nach. Die Lage der Straße ermittelte ich auf einem Stadtplan hinter Schleiern von Kondenswasser. Dann mietete ich ein Zimmer in einem billigen Hotel. Ich legte mich aufs Bett und machte den Fernseher an. Regen prasselte gegen die Scheiben. Ich nahm die Fernbedienung und schaltete zwischen Programmen hin und her. Es machte mir Vergnügen, die Scheinwelt zu zerstückeln, eine Liebesszene aus einem amerikanischen Serienfilm durch einen leichten Druck meines Fingers in ein kurzes Nachleuchten eines Kathodenstrahlpunktes zu verwandeln. Ich war erschöpft und fühlte mich zugleich stark wie selten. Liebe war eine einsame Angelegenheit. Sie paßte in dieses häßliche Zimmer.
    Als es dämmerte, verließ ich das Hotel. Der Sturm hatte noch zugenommen, und ich mußte mit den Windböen kämpfen. Ich schmeckte Salzluft auf den Lippen und verspürte ein Glücksgefühl wie schon lange nicht mehr. Im Windschatten einer Häuserwand blieb ich stehen und wischte mir die Tränen aus den gereizten Augen. ‘Tränen fließen gar so süß, erleichtern mir das Herz’, sang ich innerlich. Dann sah ich den Deich, hinter dem Lauras Elternhaus lag. Er säumte eine Bucht in einem sanften Bogen, auf dessen konkaver Seite sich das Meer staute. Wellen gischteten über die Steinbefestigung und leckten die Grasnarbe hoch. Hier also war sie als junges Mädchen spazierengegangen, mit dem Hund tagsüber, nachts mit einem ihrer Liebhaber. Auch mit ihrem Mann war sie hier gelaufen. Ich ging nun selber über den Deich, schräg gegen den Wind gelehnt. Wieder verschwamm mein Blick in Tränen, die die beizende Luft hervorriefen. Inmitten unscharf verlaufender Konturen meines Blickfelds glaubte ich, sie vor mir zu sehen. Weit voraus schritt sie, und so gerade, als wehte der Wind durch sie hindurch.
    Ich lief die Deichböschung hinunter und setzte mich auf die Steine am Deichfuß. Meine Haut brannte vom Salzwasser, und mir war kalt und heiß zugleich. Ich war durchnäßt und in einem Zustand der Willenlosigkeit. Es dauerte einige Zeit, bis ich aufstand und in eine Gaststätte ging.
    Ich nahm an einem der Fenster mit Seeblick Platz. Hier hatte sie auch schon gesessen und sicher nicht allein. Ich fuhr mit der Hand über die wollene Tischdecke und trank hastig zwei Gläser Grog. Ich war benommen und fühlte, daß ich krank wurde. Dies war mir recht. Eine Krankheit würde alles vereinheitlichen, meine Sehnsucht, meine Eifersucht, meine Liebe, mein Alleinsein. Auch die Entfernungen würden sich verändern. Australien würde näher sein als ein Blumentopf auf der Fensterbank, wenn das Fieber stark genug war.
    Dann stand ich vor Lauras Elternhaus. Mein

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