Lauras Bildnis
Finger schwebte über dem Klingelknopf. Ich zögerte. Was sollte diese Einmischung! Das Schrillen kam von weit oben. Es dauerte lange, bis die Haustür sich öffnete und Laura erschien.
Sie blickte mich an mit einer Mischung aus Neugier und Mißtrauen. Erkannte sie mich nicht? Ich erkannte sie sehr wohl, und ich erschrak. War so viel Zeit über meinem Warten verstrichen? Laura war um drei Jahrzehnte gealtert. Doch sie sah immer noch schön aus mit ihren grauen Korkenzieherlocken. Sie sieht Ihnen übrigens ähnlich, Madame. Das Craquelé des Alters hat Ihnen beiden gutgetan.
Ich fühlte mich genötigt, ein paar Worte der Erklärung zu sagen: ‘Ich bin ein Kollege Ihrer Tochter. Ich bin Lehrer an der Schule, wo sie das Stipendium hat. Ich habe dienstlich in dieser Gegend zu tun. Da dachte ich, ich schau mal vorbei und bestelle Grüße.’‘Laura ist in Australien’, sagte ihre Mutter. Es war, als beschwöre der Ton ihrer Stimme das Ausmaß der Entfernung.
Noch immer versperrte sie den Eingang mit ihrer Gestalt. Sie trug ein blaues Kleid, und unwillkürlich suchte ich nach dem Brandfleck. Dann hörte ich die Stimme eines Mannes. ‘Wer ist da?’ Lauras Mutter wandte den Kopf. ‘Ein Herr, ein Bekannter von Laura!’
Nun endlich wurde ich gebeten hereinzukommen. Ich folgte ihr die Treppe hoch in die steigende Wärme des Hauses. Auf dem obersten Treppenabsatz empfing mich Lauras Vater. Er schüttelte mir lange und herzlich die Hand. Und dann tauchte ich in ein lauwarmes Wasser der Behaglichkeit, das aus allen Dingen in diesem Wohnzimmer zu fließen schien.
Ich fühlte mich wohl, trotz schlechtem Gewissen, und benahm mich wie ein guter Bekannter, herzlich und zugleich zurückhaltend. Dabei überlegte ich, wie ein so irrlichterndes Wesen wie Laura aus diesem Miniaturweltall harmonisch verteilter Sternbilder aus schmückenden und nützlichen Dingen hervorgegangen sein konnte. Lauras Mutter füllte die Zuckerdose nach. Ein paar weiße Kristalle fielen daneben und blieben auf dem Nußbaumfurnier der Tischplatte liegen. Sie wurden nicht entfernt. Vielleicht war es dies. Vielleicht waren so die Widersprüche in Lauras Wesen entstanden.
Nach dem Tee gab es Wein. Kerzen brannten. Schwerelos trieb ich durch diesen Kosmos, vorbei an Bücherrücken hinter der Glasvitrine, an gehäkelten Deckchen, einer Obstschale voller Clementinen, an Familienfotos, Laura auf dem Roller, Laura am Strand, Laura mit Schultüte, Laura in ihrem ersten Bikini, Laura neben einem Schneemann, Laura bei der Hochzeit. Zum erstenmal sah ich ein Bild ihres Mannes. Er war gutaussehend. Sagt man dies nicht von bestimmten Männern? Gutaussehend.
Schließlich schwemmte mich eine sanfte Strömung von Trunkenheit, beginnendem Fieber und Müdigkeit das Treppenhaus hinab in die kalte Nacht. ‘Wir rufen unsere Tochter heute noch an’, rief der Vater mir nach. ‘Wir werden ihr von Ihrem Besuch berichten.’
Es kam mir vor, als sei der Pazifik ein Goldfischteich im Vorgarten. Der Sturm hatte sich gelegt, am Himmel sah man die Milchstraße, so klar war es. In der halboffenen Haustür sah ich Laura stehen, wie ich sie noch in dreißig Jahren lieben würde.
In der Nacht wachte ich mitten in einer Wolke feinster Partikel auf. Ganz allmählich begriff ich, daß ich hohes Fieber hatte. Ich hörte mich stöhnen wie jemanden, der sterbend im Nebenzimmer liegt. Ich fühlte mich leicht und körperlos. So trieb ich durch eine leuchtende Staubwolke von winzigen Bildern. All die Augenblicke, die mein Gedächtnis bewahrt hatte, eine Schulterlinie, ein Kopfschütteln, ein halbes Lächeln, Laura, wie sie Zwiebeln schnitt, eine Locke, die sie sich aus der Stirn blies, ehe sie mich küßte.«
Sechster Abend
Offenbar hatte Francesco sich so tief in seine Geschichte hineingeredet, daß er in der Nacht Fieber bekam und sich den folgenden Tag mit den Symptomen einer Grippe herumschlagen mußte. Er duldete es zum ersten Mal, daß Madame Régusse ihm sein Frühstück ans Bett brachte. Sie hatte ihm statt des Kaffees einen Tee gemacht und statt des Brotes eine dünne Suppe Haferschleim. Francesco war dankbar. »Ich werde wieder zum Kind«, dachte er.
Am Abend bestand er darauf, seine Erzählung fortzusetzen. Er fühlte sich elend, aber er fürchtete, den Faden zu verlieren, wenn er pausierte. »Ich meine nicht den Faden der Handlung, sondern den, mit dem ich gefesselt bin«, sagte er. Dann fuhr er in sichtlicher Erregung fort: »Es gibt eine tropische Pflanze namens Hypnora.
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