Lauras Bildnis
dieser schmale Streifen Niemandsland zwischen ihnen.
Einmal stützte sich Laura auf und sah zum Zugfenster hinaus. Ihr Blick war leer. Sie hatte die Fähigkeit, nichts zu sehen. Ich glaube, dies war einer der Gründe dafür, daß sie so gut malen und zeichnen konnte. Mir ist diese Gabe nicht zuteil geworden. Ich sehe immer zuviel und zu deutlich.
Als wir zurück waren, fanden wir uns in den alten Räumen nicht zurecht. Alles kam uns eng und fremd vor. Laura entschloß sich, für eine Woche zu ihren Eltern ans Meer zu fahren. ‘Ich brauche etwas Zeit für mich’, sagte sie. ‘Es wird ein schwieriger Übergang von hier nach Australien.’ Ich brachte sie zum Bahnhof. Diesmal gelang uns nur ein mittelmäßiger Abschied.
Ich stürzte mich in meine Arbeit. Mein Schweizer Kollege hatte während meiner Abwesenheit viel am Stadtprospekt getan. Zum erstenmal war mir seine unterkühlte Freundlichkeit angenehm, denn sie lenkte mich von meiner Traurigkeit ab. Allerdings ärgerte ich mich darüber, daß verschiedene Dinge in meiner Werkstatt nicht mehr am vertrauten Platz waren, zum Beispiel meine Farbpalette. Ich habe sie selber hergestellt und bin sehr stolz auf sie: fünf auf ein Brett geklebte Herzmuscheln, in denen sich die Pigmente in Pulverform befinden. Es sind sehr geeignete Gefäße, da sie sich in ihrer Rundung nach vorne öffnen und so gut zugänglich sind. Außerdem habe ich mir durch diese Idee ein wenig der maritimen Welt meiner Kindheit in mein hiesiges Landleben gerettet.
Das Wiedersehen mit der Gentildonna war zwiespältig. Das Bild war erschreckend gealtert. Ein wenn auch sehr feiner Riß klaffte im Holzträger und spaltete die Gentildonna der Länge nach vom Kopf bis zum Gürtel.
Würde dieser Schaden sich vergrößern, müßte ich etwas unternehmen. Ich müßte versuchen, den Riß unter Druck zusammenzuleimen, wohl wissend, daß dabei die Gefahr besteht, daß das ganze komplizierte Spannungsgefüge des Holzträgers aus den Fugen gerät und sich dann verheerende Folgen in der Malschicht zeigen. Das Hauptproblem bei einem solchen Eingriff ist jedoch die Notwendigkeit, beim Leimen die Kanten des Sprunges exakt auf die gleiche Höhe zu bringen, um das Auftreten störender Lichtkanten zu verhindern. Hierzu dient ein Gerät, das einem mittelalterlichen Folterinstrument nicht unähnlich ist: die sogenannte Dröhnerorgel. Dies ist eine Art Gerüst, aus dem eine Vielzahl auf Gewinden sitzender Bolzen ragen. Sie lassen sich wie Schraubzwingen von oben und von unten gegen den Holzträger verstellen. Mit den Fingerkuppen kann man eine exakte Justierung der gerissenen Fläche kontrollieren.
Zunächst jedoch machte ich mich daran, die Narbe am Hals der Gentildonna zu behandeln. Ich kratzte mit einem Skalpell die lockeren und brüchigen Wundränder aus. Das Instrument verhakte sich dabei an einem festen Widerstand. Ich untersuchte die Stelle mit dem Mikroskop und zog bald darauf mit einer feinen Zange ein Metallstück heraus, offenbar die abgebrochene Spitze eines Messers. Ich überlegte, wo ich dieses kuriose Fundstück aufheben sollte. Dann öffnete ich an meinem großen blauen Schrank die Schublade mit der Aufschrift ‘Meer’ und warf es zwischen all die Muscheln und Seetangreste, die ich aus unerfindlichem Grunde dort aufbewahre.
Anschließend stabilisierte ich die gereinigten Wundränder mit Störleim. Als er getrocknet war, füllte ich den klaffenden Riß mit Kreide, bis das Niveau der ihn umgebenden Malschicht erreicht war. Der nächste Schritt bestand darin, die Saugfähigkeit dieses Untergrundes zu blockieren. Hierzu nimmt man Schellack, den man in Alkohol löst und mit dem Pinsel auf die Kreide aufträgt.
Diese Substanz, die in dünnen, hellgelben Plättchen als sogenannter Tafellack geliefert wird, hat mich schon immer fasziniert. Es ist ein organisches Produkt und daher prädestiniert, als Medikament gegen Bildschäden eingesetzt zu werden. Schellack ist der weiblichen Blattschildlaus zu verdanken. Sie sticht in die Rinde junger Zweige verschiedener Sträucher und legt ihre Eier zum Schutz in die ausfließende Harzmasse. Die Reste der später schlüpfenden, karminhaltigen Insekten bleiben im getrockneten Harz zurück und färben es rot. Dies ist der sogenannte Stocklack, dem man mittels Sodalösungen den roten Farbstoff entzieht, um so den gelblichen Tafellack zu erzeugen.
Als ich ihn in Alkohol löste und die Halswunde damit bestrich, hatte ich das Gefühl, ein liebender Arzt zu sein.
Am
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