Lauras Bildnis
folgenden Tag trug ich Dammaharz als Retuschierfirnis auf. Nun begann die eigentliche schöpferische Arbeit. Ich mischte Dammaharz mit Pigmenten aus meiner Muschelpalette in den zarten Farbtönen des Inkarnats der Gentildonna. Es kam auf die höchste Sensibilisierung meines Farbsinnes an. Ich mußte nicht nur die Farbe treffen, ich mußte auch ihren zukünftigen Alterungsprozeß in Rechnung stellen. Die frischen Farben würden bald nachdunkeln, sie würden stumpfer werden durch die Einwirkung der Luft und die inneren chemischen Vorgänge. Es kam darauf an, bei dieser Schönheitsoperation die künstlerische Einheit des Bildes zu wahren.
Ich arbeitete den ganzen Tag wie ein Besessener. Es war draußen längst dunkel, als ich endlich fertig war.
Das Dekolleté meiner Geliebten war nun wieder makellos. Ich hatte perfekte Arbeit geleistet. Kaum war ich jedoch fertig, kam der Schmerz über Lauras Abreise mit doppelter Kraft zurück. Ich eilte in ihre Wohnung und stieg die Wendeltreppe hoch. Sie hatte ihr Bett frisch gemacht, ehe sie gegangen war. Ich hob die Bettdecke an. Ihr Pyjama kam zum Vorschein, bonbonfarben und kindlich gemustert. Ich berührte ihn sanft und voller Zärtlichkeit. Sollte ich mich zu ihm legen? Doch dann zog ich die Hand zurück und deckte ihn sorgfältig zu. Leise ging ich die Treppe hinunter und machte Feuer. Erst als es richtig brannte, verließ ich die Wohnung.
Lauras Fortsein hatte eine irritierende Wirkung auf mich. Ich begriff ihre Abwesenheit weder seelisch noch physisch; ich nahm sie nur mit dem Verstand zur Kenntnis. Es war, als sei eine Figur fein säuberlich aus der Wirklichkeit herausgeschnitten und nun mit der alten Silhouette, aber als Leerstelle präsent, wie bei Lauras Selbstporträts. Überall sah ich meine Geliebte; ich spürte sie und glaubte, ihren Geruch wahrzunehmen. Sie war da und zugleich fort. Ich lief mehrmals die alte Strecke zu ihrer Wohnung, in der festen Erwartung, sie dort anzutreffen; ich legte mich auf Lauras Bett mit dem Gefühl, sogleich ihre Hände auf mir zu spüren.
In der Zeit von Weihnachten bis Anfang Januar ist unser Museum geschlossen. Ich überlegte, ob ich nicht um eine Sondergenehmigung bitten sollte, in meiner Werkstatt arbeiten zu dürfen. Doch dann hatte ich eine gespenstische Idee: Ich rief meine Frau an und schlug ihr vor, nach Wien zu fahren. Zu meiner Überraschung willigte sie ein. Wir hatten in der letzten Zeit nur selten telefonischen Kontakt gehabt, und meine Frau hatte kühl und distanziert gewirkt.
Nun mit ihr die Reise mit Laura zu wiederholen hieße, von einem Bild eine Kopie anzufertigen. Ich war ein Meister darin. Meine Kopien kamen dem Original sehr nahe, in technischer Hinsicht übertrafen sie es sogar.
Natürlich hatte ich meiner Frau nichts von der Wienreise mit Laura erzählt. Wir waren in den letzten Jahren über Weihnachten immer in Wien gewesen. Für sie schien es schön zu sein, mit dieser Tradition trotz unserer Trennung nicht zu brechen. Oder hoffte sie auf meine Rückkehr?
Ich rief an und bestellte das gleiche Zimmer, das ich mit Laura bewohnt hatte. Als ich es betrat, glaubte ich, Laura im Bett zu sehen, dann vor dem Fenster, vom Vorhang eingehüllt. Ich ging mit meiner Frau all die Wege ab, die ich mit Laura gegangen war. Manchmal wunderte sich meine Frau über meine Ortskenntnisse, über die Sicherheit, mit der ich mich nachts in den schwach beleuchteten Seitenstraßen des Viertels zurechtfand.
Ich besuchte die gleichen Kneipen und Cafés und setzte mich, wenn möglich, auf einen Stuhl, den ich damals benutzt hatte. Ich ging mit meiner Frau in die gleichen Theaterstücke und versuchte, die gleichen Plätze zu bekommen. Wir sahen Schnitzlers Reigen in der gleichen Loge. Ich saß wieder auf dem erhöhten Hocker und blickte in den Logenspiegel. Ich glaubte, Lauras Haare zu sehen. Dabei hatte ich den Eindruck, daß sie die Augen geschlossen hielt. Schlief sie? Dachte sie an mich? Ich berührte sie sanft am Hinterkopf. Es war eine leichte, sehr zärtliche Geste. Sie drehte sich zu mir um und blickte mich an mit den großen blauen Augen meiner Frau.
Nachts lag ich auf der gleichen Seite des Doppelbettes. Meine Frau hatte die Matratzen ein wenig auseinandergezogen, so daß ein kleiner Graben entstand, eine symbolische Handlung, die eine erstaunlich magische Kraft besaß. Ich traute mich kein einziges Mal, den Arm über diesen Graben zu strecken und sie zu berühren.
Meine Frau wurde krank. Eine Virusgrippe, glaubten wir
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