Lauras Bildnis
sieht, daß alles ringsum graue Endlosigkeit wird. Dann erst erlischt die Liebe, dann erst darf man die Quelle vergessen.«
Bazin zelebrierte nun eine beinahe noch kunstvollere Pause, in der er nichts weiter tat, als in einer Art verzückter Trauer vor sich hinzustarren. Schließlich begannen seine Augen feucht zu schimmern. Dies schien ihn mit Zufriedenheit zu erfüllen; seine Mimik nahm den Ausdruck der Genugtuung an.
Er streifte sich eine Träne mit einer ruhigen und bedachten Bewegung ab, so wie etwa ein Juwelier eine Perle von ihrer Samtunterlage nimmt. Dann fuhr er fort: »Es gibt auf dieser Erde nur zwei Landschaften, Francesco, in der der Mensch zu diesem einzigartigen Gedanken fähig war: Unerfüllbarkeit ist das großartig schlagende Herz der Liebe. Dort, wo man es klopfen hört, kann man sich auf die Wahrhaftigkeit eines Gefühls verlassen. Nur dort, Francesco. Alles andere ist Trug, ist Handel, ist gewöhnliche Verrücktheit der einzelnen, die sich zusammentun, um mit ihren Körpern, ihren Reizen und Süchten ihre Geschäfte abzuwickeln. Weißt du, welche Landschaften ich meine? Beide berühren sie das Meer, beide sind sie zuweilen von einem eigenartig flirrenden Licht erfüllt, das zu allen Zeiten die Maler zu höchsten Leistungen inspirierte, beide bringen sie das schwere Blut roten Weines hervor, beide sind sie von einer betörend lächelnden Melancholie. Du wirst es erraten haben, Francesco, ich spreche von der Toskana und der Provence. Gott muß schwermütig gewesen sein, als er ihre Berge und Ebenen schuf, und er muß zugleich dabei gelächelt haben, vielleicht, weil er ausnehmend zufrieden war mit diesem Teil seiner Schöpfung. Er ahnte wohl, daß es hier einst Menschen geben würde, die von der gleichen göttlichen Stimmung befallen sein würden, zu trauern und dabei vergnügt zu sein, zu lieben und dabei auf die Erfüllung ihrer Liebe mit Wollust zu verzichten. Sie bewohnen ein Leben lang ihre Sehnsucht wie ein lichtes Zimmer mit zwei Fenstern, einem kühlen nach Norden mit Blick auf ewiges Eis, einem warmen nach Süden mit Blick auf blühende Gärten. Fliehe, Francesco, gehe weg von hier, oder du wirst das schmerzliche Lächeln der Provence nicht mehr los. Was macht übrigens deine Liebelei mit der Bäckerin?«
Monsieur Bazin wirkte wie verwandelt. Er hatte offenbar den unsichtbaren Talar wieder abgelegt und saß nun da in seinem schäbigen Aufzug und war so spöttisch und aufgekratzt, wie Francesco ihn gewöhnlich kannte.
»Es ist nichts. Natürlich ist es nichts. Ich weiß nicht einmal mehr, wie man sich verlieben soll.«»Das ist ein klassisches Symptom des Liebenden, Francesco. Die Verliebtheit ist wie ein Duft, den Liebenden interessiert nur die Blume selbst. Weißt du, als ich meine Stelle in diesem lächerlichen, seines Gegenstandes unwürdigen Museums antrat, dachte ich noch anders über Petrarca. Ich glaubte, wie alle Welt, diese dumme Geschichte von seiner platonischen Liebe zu Donna Laura. Natürlich war sie am Ende platonisch. Doch zuvor durchlief sie alle üblichen Stationen von der Verliebtheit bis zur Leidenschaft. Wäre es anders, wäre es wahrhaftig kein Kunststück gewesen, im Verzicht die eigentliche Erfüllung zu suchen. Nein, nein. Nur Philister können auf eine solche Idee kommen. Ich sage dir, wir beide wissen nur zu gut, daß die Reinheit einer großen Liebe aus der Quelle der Unreinheit sprudelt. Er hat sie in seinen Armen gehabt, viele Male, er hat mit der größten Heftigkeit begehrt und geliebt. So und nicht anders war es. Ich habe den Beweis.«
Monsieur Bazin ging zu dem großen Schrank, der die eine ganze Schmalseite des Raumes einnahm. Er fuhr mit den Fingern über die Intarsien und die Schnitzereien. Jetzt erst sah Francesco, daß es sich um ein ganz erlesenes Möbelstück handelte.
»Frührenaissance«, sagte Bazin mit seiner Aufseherstimme. »Ein seltenes Stück. Es müßte aufgearbeitet werden. Was für den Menschen gilt und die Kunst, das gilt auch für die Möbel: Etwas Ungeheuerliches geschah damals. Man muß sich nur klarmachen, daß die Gotik Schränke noch fest mit dem Mauerwerk verband. Auch sahen sie wie kleine Kathedralen aus. Jetzt aber, in der Mitte des 14. Jahrhunderts, gibt es eine Revolution. Eine Revolution des Gefühls, des Geschmacks, des Denkens. War die Gotik vertikal orientiert – alles ließ sie von oben nach unten oder von unten nach oben streben, die Seelen, die Bauwerke, die Blicke, die Gedanken, Himmel und Hölle, Sünde und
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