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Lauras Bildnis

Titel: Lauras Bildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Boetius
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der Höhlen auf eigene Faust. Ich erwartete nichts Neues, aber es machte mir viel Freude, dort oben herumzuklettern und tief unter mir den Fluß zu sehen, der, wie du ebenfalls weißt, so klar ist, daß man ihn nur mittels der Spiegelungen auf seiner Oberfläche wahrnimmt. Ich fand einige Weinflaschen, Zigarettenschachteln und anderen Müll aus unserer Zeit.
    Eine der Höhlen faszinierte mich besonders, da man von ihr direkt in den Schlund der Quelle sehen kann. Die Saugkraft des wässrigen Mundes dort unten schien bis hier oben seine Wirkung auszuüben. Ich hielt mich fest, um nicht zu springen.«
    »Die Höhle, in der ich meine Geschichte erzählt habe!« warf Francesco in großer Erregung ein. »So ist es«, sagte Bazin. Er genoß offensichtlich die Aufregung seines Freundes, und, wie um sie noch zu steigern, fuhr er mit betont gelassener Stimme fort: »Ich bewegte mich ungeschickt und trat Geröll los, das polternd in die Tiefe fiel. Ich wollte mich schon auf den Rückweg machen, als ich in dem nun kleiner gewordenen Steinhaufen am Rande der Höhle einen dunklen Gegenstand entdeckte. Ich legte ihn mit meinen Händen frei. Es war eine Art Truhe. Sie zerfiel, als ich sie bewegen wollte, und all das kam zum Vorschein, was du jetzt vor dir auf dem Tisch siehst. Ich brachte die Sachen hinunter, wobei ich mich mühte, sie so vorsichtig wie möglich anzufassen, so zart, wie es nur ein Liebender vermag. Mir war klar, daß ich den heimlichen Treffpunkt Petrarcas und seiner geliebten Laura gefunden hatte. Ihren locus amoenus direkt über dem Mund der Sorgue.«
    Bazin starrte verzückt und geistesabwesend vor sich hin. Im flackernden Kerzenlicht sah er aus wie eine antike Faunsgestalt mit spitzen Ohren und Bocksgesicht. Seine Hände streichelten behutsam das Nesselhemd und breiteten es auf dem Tisch in ganzer Länge aus. Oben, bei der Halsöffnung, drapierte Bazin nun die Kette, wobei er sie zu einem Doppelkreis schlang. Unterhalb des Hemdes plazierte er die beiden Sandaletten. Zum Schluß legte er die Haarlocke an eine Stelle, die einer möglichen natürlichen Position entsprach. So waren auf der langen Tischplatte die bruchstückhaften Umrisse einer auf dem Rücken liegenden Frau entstanden.
    »Die Haube fehlt«, sagte Bazin. »Man hat sie leider ins Museum verfrachtet. Mit ihr war es mir ursprünglich möglich, auch einen gewissen Eindruck von Lauras Antlitz und Kopfhaltung zu vermitteln. Doch auch so wirst du sie sehen können, wenn du die Phantasie eines Liebhabers hast.«
    Monsieur erhob sich und blies die Kerzenflammen aus. Nur eine einzige ließ er brennen. Ihr schwankendes Licht fiel so, daß sich die Gegenstände auf dem Tisch an ihren Schattenrändern ein wenig zu bewegen schienen. Francesco starrte wie gebannt darauf, und wirklich, sie schienen sich mit Körperlichkeit zu füllen, als schlüpfte ein Mensch hinein. Bazin saß ihm gegenüber und rezitierte mit monotoner Stimme:
Ich sah ein junges Weib beim grünen Lorbeer,
    das weißer war und kälter als der Winter,
    von Sonne unberührt viel-viele Jahre;
    ihr Sprechen und das Antlitz und die Locken
    gefielen mir so sehr, daß sie vor Augen
    mir schwebt und schweben wird auf Berg und Ufer.

Erst dann gelangt mein Sehnen an ein Ufer,
    wenn sich kein grünes Blatt mehr zeigt am Lorbeer;
    wenn still das Herz ist, trocken sind die Augen,
    gefriert das Feuer und es brennt der Winter;
    nicht hab ich so viel Haar in diesen Locken
    wie zur Erwartung jenes Tages Jahre.

Wiewohl die Zeit fliegt und es fliehn die Jahre,
    bis man jäh landet an des Todes Ufer,
    sei es mit braunen oder weißen Locken,
    folg ich dem Schatten dieses süßen Lorbeers
    bei überheißer Sonne und im Winter,
    bis mir der letzte Abend schließt die Augen.

Noch niemals sah man je so schöne Augen,
    zu unserer Zeit nicht noch zu frühern Jahren,
    die mich zerschmelzen wie die Sonn den Winter,
    woraus ein Tränenfluß entspringt, des Ufer
    Amor zum Fuße lenkt des harten Lorbeers
    mit Diamantgezweig und goldnen Locken.

Eh wandeln sich mir Angesicht und Locken,
    bevor mir mitleidvoll zukehrt die Augen
    mein Lieb, gemeißelt in lebendigen Lorbeer.
    Verzähle ich mich nicht, sinds sieben Jahre,
    die geseufzt von Ufer hin zu Ufer
    die Nacht, den Tag, bei Hitze und im Winter.
    Innen nur Glut, außen schneeweißer Winter,
    mit diesen Sorgen nur, mit anderen Locken
    geh weinend ich entlang an jenem Ufer,
    Mitleid hervorzurufen in den Augen
    derer, die nach uns leben tausend Jahre,
    lebt denn so lange gut

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